Buch-Cover, Luci van Org: Frau Hölle: Ragnarök deine Mudda  (Hörbuch)

Frau Hölle: Ragnarök deine Mudda (Hörbuch)

Genre: Urban Fantasy
Seiten: 639
Erschienen: 12/2013 (Original: 2013)
ISBN: 978-3-939941-54-5
Preis: 19,95 Euro (Softcover)
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Die Zeiten der nordischen Götter sind längst vergangen. Eigentlich wollen sie jetzt nur ihre Ruhe. Aber als sich ein Berliner Leichenbestatter sich als Todesgöttin Hel ausgibt, wird es dieser zu bunt. Mit ihrem Einschreiten ist es jedoch nicht getan. Etwas geschieht in der "Blanken Hellen" am Alboinplatz in Berlin Tempelhof-Schönberg. Immer mehr Menschen kommen auf überaus seltsame Art ums Leben. Auch Hel ist rastlos und mit ihr die anderen Asen - zumal die allwissende Gemahlin Odins in einem Zornesausbruch verkündet, dies sei der Anfang von Ragnarök. Ganz unbemerkt planen Schulddämonen die "Einführung adäquater Endzeitszenarien"...

Das Buch erhält 9 von 10 Punkten.

"Frau Hölle - Ragnarök' deine Mudder tut sich mit seinem Cover keinen Gefallen. Es war ein Hauptgrund, weswegen ich das Buch links liegen ließ. Zu Unrecht. Also bitte wegschauen, denn "Ragnarök' Deine Mudda" ist klasse: skurrile, abgedrehte Urban Fantasy. Dazu ein Hauch nordische Mythen mit Berliner Dialekt und lokalen Legenden. Im Endeffekt geht es aber nicht um Götter oder Übernatürliches. Es geht um die Menschen.

Urban Fantasy im Hartz-IV-Milieu

Will man "Frau Hölle" in eine der üblichen Fantasy-Schubladen stecken, bietet sich "Urban Fantasy" an. In diesem Fall enthält die Urban Fantasy einen deutlichen Schuss Mythen. Das überrascht nicht, wenn ein wesentlicher Teil eines Götterpantheons zu den Protagonisten zählt. Auch heute haben sie noch Macht. Keine Macht wie zu ihrer Glanzzeit, aber dennoch altern sie beispielsweise nicht. Für diese Geschichte sind die besonderen Kräfte der Götter jedoch nicht wichtig. Stattdessen sind die Götter "ganz normale Menschen" (na gut: fast - die typischen Eigenschaften scheinen noch immer durch). Hel ist Friseuse; Odin und Frigga betreiben eine Gastwirtschaft; und auch die anderen Asen haben sich einen normalen Job gesucht.

Bei der Berliner Fraktion der Götter sind diese Jobs im mittleren bis unteren Bereich der Gesellschaft angesiedelt. Sie sind zwar nicht "am Abgrund" aber doch umgeben von Hartz-IV und nicht in angesehenen Anstellungen. Da rennen ADHS geplagte Kinder mit drogensüchtigen Müttern herum. Da ist man nicht immer ganz helle und einigermaßen abgestumpft. Das Supertalent ist das größte, auch wenn der Bohlen ein blöder Macker ist. Luci van Org bedient einige Klischees und überzeichnet sie. Dazu unterteilt sie das Buch in mehrere Abschnitte, die unterschiedliche Figuren ins Zentrum stellen. Verbunden sind die Figuren durch das gemeinsame Leben - und den stetig wachsenden Leichenberg in Tempelhof-Schöneberg.

Übernatürliche Probleme? Menschliche Probleme! Sozialkritik

Moment: Leichenberg? Ja, Leichenberg! Etwas geht vor in Berlin Tempelhof-Schöneberg. Etwas, das auch den Göttern zu denken gibt. Etwas Übernatürliches - klar. Dabei beschäftigt sich "Frau Hölle" aber nicht nur scheinbar mit übernatürlichen Problemen. Tatsächlich sind die Probleme des Romans absolut menschlich. Die Mordfälle und andere Vorkommnisse sind letztlich von Menschen selbst verursacht. Unnütze und schädliche, dazu absolut sinnlose und ungerechtfertigte Selbstvorwürfe - diese sind Schuld. Wie genau? Nachlesen! Denn "Frau Hölle" gibt hier zu denken. Wie viel von dem, was DU tust, tust du wirklich für dich? Wobei fühlst du dich wirklich besser; wobei wird dir nur gesagt, dass du dich danach besser fühlst? Wie viel tust du, weil ANDERE es von dir erwarten, auch wenn du die Erwartung nie erfüllen kannst. Wie viel von diesen Erwartungen macht dir eigentlich erst Probleme...? Luci van Org stößt Gedanken an. Zugegeben: Oft Gedanken, die man im Grunde schon hatte, die man nur nicht ausspricht. Genau das ist ja das Problem.

Über die Darstellung verdreht man oft die Augen. Beispielsweise über "ADHS-Jason", an dem die Totengöttin mangels eigener Kinder einen Narren gefressen hat. Und der unbedingt Deathmetal spielen will. Oder über Hel selbst, für die der Ausdruck "Hippie-Friseuse" recht passend ist. Ja, einiges ist stark überzeichnet. Dazu zählt auch der Bestatter, der sich in seiner LARP-Persona verliert; oder die christlich erzogene Lesbe, die mit ihrer Sexualität einfach nicht klarkommt. Sind sie wirklich überzeichnet? Eine gewisse Realität steckt in ihnen. Vermutlich gibt es sie nicht in dieser absoluten Konzentration. Aber manche Szene weckt doch allzu reale Erinnerungen.

Auch die Massenmedien bekommen ihr Fett weg: Stichwort Volksverdummung. Viele andere Gruppen, die sich "das beste der Menschheit" auf die Fahne schreiben. Schönheit! Diäten! An sich selbst arbeiten! Ist das wirklich und unbedingt eine gute Idee? "Frau Hölle" geht gegen die Konformität und das gesellschaftlich Erwartete. Der Sinn strikter Vorbilder und Selbstquälerei ist Thema. Denn mal ehrlich: Wer kann das Schönheitsideal erreichen, ohne seinen Körper zugrunde zu richten? Da hat ja selbst die goldhaarige Göttin Sif Probleme.

Zu viel möchte ich nicht verraten. "Frau Hölle" lebt zwar nicht von Spannung und großen Überraschungen, sondern von Skurrilität. Twists und Wendungen tragen zu dieser jedoch bei. Es bleibe gesagt: "Pures Böses" gibt es in diesem Buch nicht, keinen großen Feind. Auch keinen echten Action-Kampf. Selbst die "Dämonen" wirken menschlich. Für ihre Situation kann man Verständnis haben. Letztlich sind sie das "Monster", die "Monstranz" im eigentlichen Wortsinn. Also ein Mahnzeichen, das den Menschen schrecklich vor Augen führt, was sie sich selbst antun.

Berliner Milieu - Berliner Dialekt

Ohne Berlin wäre der Roman nur halb so gut. Luci van Org nutzt reale Handlungsorte. Für das Hörbuch liest sie selbst, mitsamt Berliner Dialekt, durch den die Geschichte zusätzlich gewinnt. Sie bringt die Figuren stark und überzeugend herüber. Dialekt ist aber nicht alles. Die Handlungsorte existieren in Berlin tatsächlich. Auch die "Übernatürlichen". So ist die Sage von der Blanken Hellen getreu verarbeitet und Hels Heiligtum ist neben dem Alboinplatz das örtliche Zentrum der Handlung. Meist bleibt die Handlung aber in Tempelhof-Schöneberg; kurze Ausflüge führen beispielsweise zum (uneröffneten) Flughafen. Dort wird es blasser, "massenmedialer". In Tempelhof-Schöneberg passen hingegen auch die Details. Der Alboinplatz ist real, ebenso die Parkanlagen, in denen ein großer Teil der Handlung spielt. Das Leichenschauhaus, das im ersten Teil eine Rolle spielt, fand ich nicht. Die Gaststätte von Freya und Odin ist hingegen zu finden, ebenso wie umgebende Schauplätze. (Ich frage mich: Wie viele Gäste kommen deswegen? Geben die Besitzer nun Autogramme als Odin? Wenn ich nach Berlin komme, muss ich dort unbedingt vorbei...) Kurzum: Die Topologie stimmt. Damit ist der Roman klar in der Realität verankert und nutzt das (echte oder eingebildete) Wissen, das der Leser vom prekären Berliner Milieu hat. Oder nicht: Wirklich auskennen muss man sich dort nicht. Es genügt, durch die übliche Presse von den Berliner Problemen gehört zu haben.

Skurrile Urban Fantasy

Skurril ist "Frau Hölle" auf jeden Fall. Es bleibt nicht beim "typischen" Milieu. Schon im ersten Abschnitt steht ein "Leichenheini" im Zentrum, der mehr Zeit in seiner LARP-Person zu sein scheint als im realen Leben. Immer wieder gibt es auch Seitenhiebe auf die menschliche Geschichte. Dabei wird diese selten ernst genommen. Beispiel? Es gibt da so einen "blöden orientalischen Untoten", der vor 2000 Jahren von einem Kreuz runtergeklettert ist. Wer konnte denn bitte Ahnen, dass das solch eine große Welle schlägt?! (Antwort: Freya die Allwissende. Die dummerweise grundsätzlich schweigt.) Über einiges kann man ins Nachdenken kommen. Das gilt für die Sozialkritik an der Gegenwart - aber auch für die Geschichte. Wie viel ist tatsächlich so, wie wir heute allgemein glauben? Was wurde unter Umständen verfälscht?

Schreckliches Titelbild

Womit sich weder Roman noch Hörbuch einen Gefallen getan haben: das Cover. Ehrlich: Ich würde bei diesem Titelbild nicht zu diesem Buch greifen. Es war tatsächlich der Grund, weswegen ich das gedruckt Buch ausließ. Der erste Eindruck und so weiter... erst, als ich ins Hörbuch hineinlauschte, klang es interessant. Tipp: Coverbild ignorieren. Das Buch ist VIEL besser.

"Frau Hölle" bietet skurrile und abgedreht "urbane" Fantasy mit Göttern. Vor diesem Hintergrund geht es jedoch nicht um Magie und epische Konflikte, sondern um die Menschen und was diese sich selber antun. Meine nachträgliche Top-Empfehlung für 2013!

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .



Zitat(e) aus dem Buch

  • Na schön, sie hatte rechtzeitig gehandelt und nur dank ihres Realismus' waren sie all die Jahre überhaupt zu so etwas wie einem Leben fähig gewesen, weil Friya die Treusorgende irgendwann gegen Wotans Willen entschieden hatte, aus der winzigen Waldhütte neben Hels Opferstein ein kleines Wirtshaus zu machen, damals als der Strom der Opfergaben schon zu einem kläglichen Rinnsal vertrocknet war, wegen dieses untoten Gekreuzigten aus dem Nahen Osten.

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