Buch-Cover, Charlotte Erpenbeck: Russische Märchen Update 1.1 - Lenin und Baba Jaga

Russische Märchen Update 1.1 - Lenin und Baba Jaga

Serie: Märchen-Updates
Illustrator: Ivan Jakovlevic Bilibin
Genres: Fairytale Fantasy; Kurzgeschichten; Urban Fantasy
Seiten: 392
Erschienen: 05/2016 (Original: 2016)
ISBN: 978-3-939727-78-1
Preis: 15,80 Euro (Softcover)
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Baba Yaga führt inzwischen einen Dorfladen und hat seinerzeit Lenin unterstützt. Oder haust sie stattdessen auf einem alten Fabrikgelände? Vielleicht ist sie aber auch ins Tourismus-Geschäft gegangen, nachdem sie einst im Kriegslager landete. Auch Väterchen Frost ist mit der Zeit gegangen. Andere Figuren der russischen bzw. slawischen Mythologie haben ebenfalls ihren Platz in der modernen Welt gefunden. Meistens zumindest.

Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.

Im Vergleich zu anderen Märchen-Updates des Machandel Verlags sind diese russischen Märchen eher ernst. Das Augenzwinkern bleibt nicht aus, doch der sprichwörtliche russische Schwermut spürbar: Ein reines Happy End gibt es kaum. Trotz einiger Einschränkung ist auch dieses Buch wieder ein gelungenes Märchen-Update.

Konzept: Bekannte Märchen modern neu erzählt

Seit mehreren Jahren gibt der Machandel-Verlag nun "Märchen-Updates" heraus. Diese sind stets Anthologien, also Kurzgeschichtensammlungen mehrerer Autoren. Grundlage der Kurzgeschichten sind Märchen, - von den Brüdern Grimm (Froschkönig ungeküsst; Der Wolf und das Böse Rotkäppchen), von Hans Christian Andersen (Die kleine Meerjungfrau weint nicht um ihren Prinzen) und jetzt eben auch aus Russland. Genauer gesagt: aus dem europäischen Teil Russlands.

Sind diese Märchen nur modern erzählt? Teilweise. Die Archetypen des Märchens bleiben sichtbar, aber die Figuren bekommen Namen, mehr Charakter, mehr Eigenheiten. Wobei: In Russland haben die Figuren ohnehin oft Namen. Der Bezug zur heutigen Welt kommt durch den Hintergrund: ein Weltkriegslager, eine Wohnung oder eine Fabrikruine im modernen Russland.

Kurz gesagt: Diese russischen Märchen spielen in der heutigen Zeit mitsamt Betonstädten, Industrie und Kultur. Ergänzt werden die Erzählungen jedoch durch Illustrationen von Ivan Jakovlevic Bilibin und Boris Wassilkewitsch Sworykin, was eine Verbindung zu den alten Geschichten schafft.

Russland: Enger Figurenkreis

Schon bei einem Blick auf den Inhalt fällt auf: Im Vergleich zu den Brüdern Grimms oder selbst H. C. Andersens haben diese Märchen nur eine geringe Anzahl Figuren. Sie tauchen in fast jeder Geschichte auf und spielen die zentrale Rolle:

  • die Hexe Baba Yaga
  • Koschtschei der Unsterbliche
  • Wassilissa die Wunderschöne
  • Väterchen Frost
  • der Feuervogel

Hinzu kommen kleinere Figuren wie Zaren und ihre Söhne. Dennoch sind die Figuren nicht immer gleich, werden von den Autoren unterschiedlich interpretiert. Bei Baba Yaga hat dies geradezu Tradition: Sie ist böse Menschenfresserin, alte Göttin, ambivalente Helferin - und in diesem Buch Ladenbesitzerin, Kriegsvertriebene oder ganz klassische Hexe. Insgesamt füllen die Figuren jedoch sehr nah ihre traditionelle Rolle aus und beugen sich der Modernisierung nur zögernd.

Überhaupt scheinen sich die Märchen Russlands durch deutsche Autoren nur gering anzupassen - vielleicht auch, weil Russland immer noch ein eher unbekanntes Land ist. Und die heutigen russischen Märchen haben bereits eine Wandlung durchgemacht, von Göttern zu Mythen. Ins Moderne Verbrechermilieu oder eine heutige Stieffamilie transportiert, ändert sich erstaunlich wenig - selbst wenn alte Gottheiten als moderne Personen auftreten.

Russischer Schwermut

Mit dem kleinen Figurenkreis geht ein enger Themenkreis einher. Den Autoren und Autorinnen gelingt es dabei, einige unterschiedliche Sichtweisen einzubringen: Koschtschei und das Verhältnis zu seiner Mutter; Koschtschei, der ein (nicht ganz) unerwartetes Ziel hat. Fast immer ist dabei die "ernste, schwermütige russische Seele" zu spüren. Im deutschen Märchen heiratet die arme Schönheit den Prinzen. Im Russischen wird die alte Ordnung bestätigt. Es gibt Hoffnung, aber nicht immer Glück. Man hat überlebt; das Leben wird hart; aber es ist immerhin ein Leben, auch wenn alles Weitere ungewiss ist.

Durch diese Tendenz wirken viele Geschichten nachdenklich, sowohl gegenüber Ideen und Idealen als auch gegenüber Handlungen. Ein Beispiel: In Lenin und die Baba Jaga summiert die Hexe kalt und abrechnend - gleichzeitig aber doch versöhnlich. Men kann scheitern, aber dennoch glücklich sein - auch wenn hier die Frage bleibt, was letztlich erreicht wurde.

Humor kommt vor, gerade auch in der kürzesten Geschichte aber auch auf absurde Art wie ein Hund namens Hexenkatze. Verwechslungen, brutale und missverstandene Tauschgeschäfte, gerechter wie auch grausamer Lohn - all dies kommt vor. Will man ein Motiv festhalten, so ist es die erwähnte alte Ordnung, der festgelegte Gang der Dinge: Kinder lösen die Eltern ab, jeder muss seinen Platz finden und das ist auch gut so. Man kann die Ordnung für einige Zeit durcheinanderbringen, aber das führt fast nur zu Problemen.

Kritikpunkt: Große Ähnlichkeit

Am Ende bleibt ein Kritikpunkt, den auch die unterschiedlichen Autoren und ihre Bearbeitungen nicht vermeiden konnten: die Kombination der beiden vorangehenden Absätze. Trotz anderer Blickwinkel und Stile sind es immer wieder die gleichen Figuren. Auch tauchen die gleichen Elemente oft direkt nacheinander erneut auf.

Grund ist natürlich die kleine Zahl von Figuren und verbundener Themen. Die slawische Mythologie hätte hier durchaus mehr zu bieten, aber die Auswahl der Autoren überrascht wenig: Dies sind die Figuren, die man im Westen kennt. Und ohne dass der Leser ein Märchen kennt, geht der Kontrast zwischen Update und Original verloren, kann nicht stattfinden. Aus diesem Blickwinkel ist die Geschichtenauswahl also sehr nachvollziehbar, tröstet aber nicht gänzlich über diesen kleinen Makel hinweg.

Trotzdem ist Russische Märchen Update 1.1 - Lenin und Baba Jaga eine gelungene Märchen-Anthologie, die den Leser aus dem typisch westlich-europäischen Sagenumfeld herausführt.

Inhaltsverzeichnis

Die folgenden Geschichten und Autoren sind in der Anthologie enthalten:

  • Baba Jagas Dorfladen (Birgit Specker)
  • Lenin und die Baba Jaga (Thea Derado)
  • Wasilissas Puppe (Detlef Klewer)
  • Der Feuervogel (Antje Grüger)
  • Briefwechsel mit Baba Jaga (Kristina Lieschke)
  • Snegurotschkas Puppen (Marion Bach)
  • Wassilissa (Claudia Wahnschaffe)
  • Im Banne der Baba Jaga (Stefan Lochner)
  • Die Leute im Lager nannten sie Baba (Horst Berger)
  • Der Kolobok (Dolores Pieschke)
  • Iwan-Zarewitsch und der graue Wolf 2.0 (Carola Jürchott)
  • Mascha und Timur Medwedew (Dradra &Trici / Alexandra und Patricia Grimm)
  • Iwaschka der Weiße (Boris Schneider)
  • Iljas Träume (Eva Haring-Kappel)
  • Die Unsterblichkeit des Koshchei (Michael Edelbrock)

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .


Zitat(e) aus dem Buch

  • "Die Baba Yaga kann man nicht töten. Ohne sie würde der helle Morgen nicht kommen. Der rote Mittag oder die dunkle Nacht würden ausbleiben. Eine Welt ohne Baba Yaga kann nicht existieren."
  • "Sie war niemals nur eine alte Hexe. Sie ist ebenso sehr der Geist der Wälder, die alte zahnlose Frau aus der Gasse nebenan oder das gertenschlanke junge Ding, das ohne Kleider über nächtliche Wiesen tanzt."

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