Mythic Fiction

Mythic Fiction, hier: der nordische Gott Odin

Mythic Fantasy zieht Inspiration aus Sagen, Legenden, Märchen und Mythen und erzählt basierend auf diesen neue Geschichten oder wechselt die Perspektiven. Die meisten dieser Romane werden einfach als Fantasy vermarktet - der Ursprung wird aber recht schnell klar und gerade dies hat einen eigenen Reiz.

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Mythic Fiction, Mythenfiktion oder Mythic Fantasy ist ein literarisches Genre, das nicht sonderlich gut beschrieben ist. In der Werbung der Verlage und der Autoren ist es so gut wie nicht präsent: Die meisten Werke werden schlicht als "Fantasy" auf den Markt gebracht.

Mythic Fiction schöpft aus dem Fundus der ältesten Motive überhaupt und findet sie in Sagen, Legenden und Mythen, die zum "Allgemeinwissen" einer Kultur gehören. Dabei kann sie allerdings schwer exakt beschrieben werden: Es gibt viele Grauzonen zu anderen Gattungen, die mythische Elemente beinhalten. Gerade die Fantasy stützt sich auf (häufig mythische) Archetypen.

Eine Beschreibung als Mythic Fiction scheint daher nur dann sinnvoll, wenn die mythischen Elemente nicht vereinzelt vorkommen, sondern für die Erzählung zentral wichtig sind. Dies bleibt aber eine teils subjektive Einschätzung. Mythic Fiction kommt nicht nur als eigenständige Gattung vor, sondern auch als (Teil-) Element in einer Vielzahl von Genres.

Eine Sonderform von Mythic Fiction ist Mythopoesis, bei der eine Mythologie für eine Fantasiewelt erschaffen wird.

Der Ursprung von Mythic Fiction

Der Begriff Mythic Fiction geht zurück auf Charles de Lint und Terri Windling. Ihre Kerndefinition ist simpel: Mythic Fiction sind Geschichten, welche die Topoi, Themen und Symbole aus Mythen, Legenden, Folklore und Märchen nutzen. Implizit ist dabei, dass diese Werke selbst keine Mythen sind und die Erzählmittel ihrer Zeit nutzen.

Im Gegensatz zu Mythen, die meist in unbestimmter Zeit und vager Geographie spielen, ist Mythic Fiction meist klar in unserer Welt verortet. Seltener spielen Werke in anderen Welten, in denen unsere Mythen "lebendig" sind.

Wie Fantasy erlaubt die Verwendung von Mythen einem Autor, unsere heutige Welt zu kommentieren, ohne direkt auf sie einzugehen. Dabei helfen zusätzlich der Ton des Mythos und seine Eigenschaft, sich auf zeitlose menschliche Eigenschaften, Fragen und Wünsche zu beziehen.

Merkmale von Mythic Fiction

Mythen und Legenden sind in ihrer jeweiligen Kultur sehr bekannt. Unabhängig von der genauen Kultur treten bestimmte Elemente immer wieder auf: der Held, der jüngste Sohn, der siebte Sohn, Helferfiguren und Hindernisse wie ein Schwellenwächter (Threshold Guardian, Feinde und Hindernisse des Helden im weitesten Sinne).

Auch viele Gegenstände kehren stets wieder: besondere Waffen und Artefakte, magische Blumen, die es zu erringen gilt oder böse Gegenstände, die vernichtet werden müssen. Die typische Form einer mythischen Erzählung ist eine Queste und allgemein erwartet man, dass der jüngste Sohn dort Erfolg hat, wo seine älteren Brüder scheiterten; der dritte Wunsch ist dazu da, das Unheil der ersten beiden zu beheben usw.

Wie der Mythos setzt die Mythic Fiction stark auf solche Archetypen. Eine Konsequenz davon ist eine generell größere Vorhersehbarkeit. Leser erwarten, dass das Schwert des Helden ein besonderes Schwert ist. Der jüngste Bruder wird erfolgreich sein, die älteren müssen scheitern - sonst wäre die Geschichte nicht richtig.

Diese Erwartungshaltung ist kein genereller Nachteil. Einerseits erlaubt sie dem Autor, auf Erklärung zu verzichten, da der Leser instinktiv mit den Figurentypen vertraut ist. Andererseits kann er mit der Erwartung brechen, was jedoch selten genutzt wird. Eine Ausnahme hierfür ist die humoristische Fantasy. Weicht ein Autor vom Archetypus ab, wird dies in der Regel thematisiert.

Einen besonderen Reiz erhält die Gattung häufig durch das bewusste Spiel und die Spannung zwischen Realität, Mythos und Fantasy. Gleichzeitig spielen viele Autoren mit den Ideen von gehobener Literatur und Populärliteratur bzw. Genreliteratur oder formula fiction. Mythic Fiction ist nicht an eine einzige Literaturgattung gebunden, sondern findet sich sowohl in hochliterarischen Werken als auch in Horror, Fantasy und anderen.

Gleichzeitig hat Mythic Fiction das Problem, sich von anderen Gattungen abzugrenzen. Zielführend zu sein scheint, ein Werk dann als Mythic Fiction zu bezeichnen, wenn Referenzen auf Mythen oder mythische Elemente für die Handlung zentral sind und nicht ohne Bedeutungsverlust entfallen können.

Häufige Themen und Motive

Die Kernthemen der Mythic Fiction orientieren sich am Mythos: Es sind zeitlose Themen wie Liebe, Leben und Tod, Hoffnung und Rache. Diese können sowohl auf persönlicher als auch auf epische Ebene thematisiert werden. Viele Elemente stammen aus der mündlichen Überlieferung und haben ihre Form behalten: Erzählungen von Initiationen, Warngeschichten und Erklärgeschichten. Auch Joseph Campbells Hero's Journey (siehe Der Heros in tausend Gestalten) ist eine typische tradierte Form, heute meist als Queste oder Heldenreise bekannt.

Ausprägungen sind sehr unterschiedlich: In manchen Geschichten entdeckt der Protagonist, dass er der Nachfahre eines mythischen Wesens ist (z. B. eines Gottes oder eines griechischen Helden). Oft hat er einige Fähigkeiten geerbt und nun ist es an ihm, die Aufgabe seines Ahnen fortzuführen - oder sich gegen dieses Schicksal (ein verbreitetes Motiv) zu stellen.

Auch kann mehr als ein Mythos existieren. Wenn ein Autor Mythen aus verschiedenen Kulturkreisen mischt und verschmilzt oder neuinterpretiert, ergeben sich häufig interessante Effekte durch die teils widersprüchlichen Erklärungen für die Beschaffenheit der Welt. Ein Beispiel: Samit Basu mischt in Der letzte Held die mythischen Wesen und Helden vieler (vor allem östlicher) Regionen zusammen, legt es dabei aber vor allem auf den humoristischen Effekt an.

Eine andere Herangehensweise ist, einen Mythos oder eine Legende als Ausgangsbasis zu nehmen und neu zu erzählen. Man denke hier an die vielen Neuerzählungen des Artus-Mythos (z. B. Wählt König Arthur! - gleichzeitig auch Urban Fantasy und Humoristische Fantasy). Auf diese Art werden die Handlungen in ein anderes Setting oder eine andere Zeit verschoben.

Als letzte reine Möglichkeit verbleibt, Parallelen zwischen einem Protagonisten und der Figur eines Mythos zu ziehen. Eine Grauzone ist das Auftauchen eines einzelnen Gegenstands (z. B. die Arche Noah oder ein Hammer, der auffallend die Eigenschaften von Thors Hammer besitzt) ohne dass dies weiter thematisiert wird. Einzelne mythische oder magische Elemente wie dies führen jedoch nicht generell zur Mythic Fiction. Erst wenn die Figuren nun beginnen Thor oder die Asen zu suchen und weitere Hinweise finden, bewegt sich die Geschichte in Richtung Mythic Fiction.

Mythic Fiction und andere Gattungen

Mythic Fiction und Mythos

Der Mythos ist die Quelle für die Archetypen der Mythic Fiction. (Man kann auch die Grundlage der Fantasy an sich im Mythos sehen.). Der wesentliche Unterschied ist, dass der Mythos einen Realitäts- oder Wahrheitsanspruch hat: Mythen erklären, warum die Welt ist, wie sie ist, oder warnen und instruieren.

Der Mythic Fantasy fehlt dieser primäre Wahrheitsanspruch. Zwar kann unter dem Mantel des Mythos Kritik an der Realität geübt werden und oft leichte auf Missstände hingewiesen werden, in der Regel ist die primäre Funktion aber Unterhaltung. Der Wahrheitsanspruch kommt erst an späterer Stelle.

Mythic Fiction und Fantasy (Mythic Fantasy)

Die Art Mythic Fiction mit mythischen Wesen, Helden und Questen wird in der Regel als Fantasy verkauft. Gleichzeitig ist der Mythos so etwas wie die älteste Fundgrube für Fantasy, aus der viele Motive stammen. Die meisten Fantasy-Romane erzählen jedoch neue Geschichten und bedienen sich nur einzelner Motive.

Mythic Fantasy sind vor allem Neuerzählungen von Märchen, Sagen oder Legenden, die zentral auf diesen Geschichten aufbauen. Beispiele sind Artus-Neuerzählungen oder Jim C. Hines' Todesengel-Reihe, die genauer unter Fairytale Fantasy fällt.

Mythic Fiction und Magic Realism

Mythic Fiction und Magischer Realismus werden oft zusammengeworfen, sind aber nicht das Gleiche. Im Magischen Realismus gibt es magische Elemente in der realen Welt, die von den Figuren der Handlung als absolut gewöhnlich und normal angesehen werden - dieses Element gilt den Figuren als ganz normal, war schon immer da. Diese Gattung hat ihren Ursprung im Surrealismus (mit Einflüssen durch die feministische Neuentdeckung von Märchen und den Untersuchungen von Joseph Campbell et al.).

Diese Art der Fiktion tut sich im Westen sehr schwer. Im deutschen Raum kann Kafka (Die Verwandlung) als Beispiel angeführt werden. Bekannter sind jedoch südamerikanische Autoren wie Gabriel García Marquez oder Jorge-Louis Borges.

Dem Magischen Realismus wird oft zugeschrieben, das Interesse an Märchen und Sagen wiederbelebt zu haben und so auch ein Wegbereiter für Mythic Fiction zu sein. Auch wenn einzelne mythische Elemente im Magischen Realismus vorkommen, sind diese in der Regel zu vereinzelt und zu beliebig, um als Mythic Fiction zu gelten.

Mythic Fiction und Urban Fantasy

Urban Fantasy spielt in der modernen Welt. Wenn diese moderne Welt heftig mit realen mythischen Elementen durchsetzt ist, ist dies auch Mythic Fiction. Viele Verlage verwenden Urban Fantasy als Genre für diese Art von Roman. Ein Beispiel ist die Peter Grant / Flüsse von London Reihe von Ben Aaronovitch, in dem vor allem die Personifikationen der Flüsse auftauchen, aber auch andere Wesen der englischen Folklore. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist Neil Gaimans American Gods: Hier treten klassische Götter in der heutigen Zeit auf.

Mythic Fiction und Humoristische Fantasy

Humoristische Fantasy nutzt Mythen und Legenden gerne, um mit ihnen ihre Späße zu trieben. Man nehme das magische Schwert: Karottes Schwert auf der Scheibenwelt sollte allen Erzählungen nach magisch und wichtig und bedeutend sein. Aber es ist einfach nur ziemlich scharf und kein Bisschen magisch.

Humoristische Fantasy bricht dabei oft mit der Erwartung an bekannte Elemente oder hinterfragt sie und macht sie lächerlich. Insbesondere thematisiert sie auch Klischees der Literatur und die Tendenz von Menschen, vieles als gegeben hinzunehmen.

Subgenre: Fairytale Fantasy

Häufig wird Mythic Fiction und Fairytale Fantasy gleichbedeutend gebraucht. In einer etwas präziseren Abgrenzung ist Fairytale Fantasy eine Untergattung der Mythic Fiction: Es ist erstens Fantasy und zweitens Märchen-Fantasy. Ihre Motive stammen ausschließlich aus Märchen und nicht aus Sagen oder Legenden.

Häufig trifft man hier Neuerzählungen, Neuinterpretationen oder ein Mash-Up verschiedener Märchen. Gänzlich neu erfundene "moderne Märchen" (z. B. Der Zauberer von Oz) werden oft auch hinzugezählt.

Subgenre: Mythpunk

Der Begriff Mythpunk wurde von Catherynne M. Valente geschaffen. Er soll eine Art der Fiktion beschreiben, die in Folklore und Mythos beginnt und ihm Fantasy, Urban Fantasy, Postmodernismus und einige andere Techniken hinzufügt. (Siehe hier)

Mythpunk hat viele Ähnlichkeiten mit Urban Fantasy, ist jedoch "abgedrehter", vermeidet lineare und offensichtliche Strukturen und zu klare Archetypen. In dieser Untergattung kann man Zebra-Satyren erwarten, Bierjungfrauen (statt Meerjungfrauen), Minotauren als Türsteher und ähnliche Skurrilitäten, die sich von ihrer mythologischen Basis gelöst haben.

Sonderform: Mythopoeia / Mythopoesis

Mythopoesis ist griechisch für Mythenschöpfung. In dieser Form folgt es J. R. R. Tolkien, wie er es in den 1930er Jahren benutzte. Konkret meint es die Schöpfung von Mythen für eine (Fantasy-) Welt. Im Gegensatz zu realen Mythen, die sich über die orale Tradition über Jahrhunderte bilden, ist Mythopoesis ein bewusster Akt fast immer eines einzelnen Autors.

Der wesentliche Unterschied zur (High) Fantasy ist, dass Mythopoesis sich stark an realen Mythen orientiert. Sie stellt nicht das Abenteuer eines Helden in den Vordergrund, sondern erklärt und ordnet die Geschichte, Geographie, Naturgesetze und Götter der geschaffenen Welt.

Bekannte Beispiele sind Tolkiens Mittelerde, Lovecrafts Welt unter dem Cthulhu-Mythos. C. S. Lewis' Narnia kann man als christliche Mythic Fiction interpretieren.

Quellen und Verweise

Titelbild: Illustration Odins aus Das festliche Jahr [...] (1863), von Unbekannt via Wikimedia Commons, PD.

Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Diese Genre-Info wurde veröffentlicht am und zuletzt geändert am .

 
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