Was macht eine (gute) Rezension aus?

          
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Was macht eine gute Rezension aus? (Daumen hoch/runter)

Grundlegend kann man fragen: Wieso rezensiert jemand überhaupt? Was hat er davon? Ist er gehässig und will sich so profilieren? Das ist selten der Fall. Aber es stellt sich auch die Frage der anderen Seite: Was bringen Rezensionen überhaupt? Oder im Grunde interessanter: Was beeinflusst eine Rezension und wann ist sie hilfreich?

Wollen Kritiker sich nur rächen?

Der Durchschnitt von Bewertungen auf Grimoires.de durch das Rezensenten-Team liegt etwas über 7 von 10 Punkten. Das ist doch ganz ordentlich - von Krittelei und Rächen kann also kaum die Rede sein. Allerdings muss man auch sagen, das heutzutage 6 oder gar 5 von 10 Punkten letztlich ein "ziemlich schlecht" bedeuten. Wer kauft denn z. B. auf Amazon etwas, das weniger als 3 Sterne hat? Zumindest wird man vorsichtig.

Ein englisches Sprichwort sagt: Wer kann, tut; wer nicht kann, lehrt. Das ist ziemlicher Blödsinn. Es gibt in allen Bereichen Menschen, die gut etwas beibringen können und deren Schüler weit größere Erfolge feiern, als sie - aber nur durch sie so gut wurden. Umgekehrt kann jemand eine Koryphäe auf einem Gebiet sein - aber komplett daran scheitern, jemand anderem auch nur Grundlagen zu vermitteln.

Der Sprung zu Kritiker bzw. Rezensent und Autor hat einige Schwierigkeiten. Denn der Kritik bewertet ein bereits veröffentlichtes Buch. Die richtige Entsprechung wäre eher der Lektor. Dennoch hat ein Kritiker auch diese Funktion: Er teilt dem Autor mit, was ihm gefiel und was nicht. Denn eigentlich will sich ein Rezensent nie rächen müssen; eigentlich will er viel lieber tolle Bücher lesen.

Natürlich gibt es auch mal einen Verriss: eine Kritik, die nichts Gutes an einem Buch lässt. Da mag dann auch ein bisschen Rachegedanke mitspielen, denn der Rezensent hat seine Zeit vertan.

Aber die meisten Menschen rezensieren aber, weil es ihnen Spaß macht ein gutes Buch zu lesen, darüber nachzudenken und ihre Gedanken festzuhalten und mit anderen zu teilen.

Schlechte Bücher zu Ende lesen?

Warum hat er das Buch überhaupt zu Ende gelesen? Das ist eine Frage von Professionalität. Und von den eigenen Ansichten. Wenn ich ein Buch bei einem Verlag explizit anfordere, dann lese ich es auch. Bis zum bitteren Ende. Denn immerhin habe ich es selbst ausgewählt - und ich frage nur Bücher an, von denen ich erwarte, dass sie mir gefallen.

Statistiker, die sich über die hohe Durchschnittsbewertung wundern, können hier schon einmal aufhorchen: Natürlich ist eine gute Durchschnittswertung zu erwarten, wenn der Bewerter die zu bewertenden Bücher auswählt. Außer er ist ein Masochist, der das wählt, was er hasst. Aber in der Regel geht es ihm nicht um die ganze Bandbreite wie bei einem Produktvergleich (z. B. alle Semmelknödel von X Herstellern), sondern er möchte auch Spaß an dem haben, was er "testet".

Eine Ausnahme gibt es aber: Unverlangt zugesandten Büchern gebe ich durchaus eine Chance und lege sie nicht nach der ersten Seite weg. Auch nicht, wenn diese schlecht ist. Zumindest nicht, wenn sie mich grundsätzlich interessieren. Können sie mich aber nach einer arbiträren Seitenzahl nicht packen ... dann tschüss. Und eine schlechte Rezension gibt es dann auch nicht, weil es nämlich gar keine gibt. War's nicht wert.

Was sind Rezensionen dann?

Wenn Rezensionen kein Produktvergleich sind und keinen Überblick über alle Optionen geben, was sind sie dann? Kein Produktvergleich, aber doch ein Produkttest. Vergleiche sind ohnehin schwer. Man kann Stil und Motive, sogar den Plot vergleichen. Aber nicht ernsthaft, ob eine Autorin für irgendetwas mehr Punkte bekommt als eine andere. Verschiedene Bücher kann man grundlegend nicht sinnvoll vergleichen - zumindest nicht mit einer Bewertungsskala. Durchaus vergleichen kann man Bücher auf andere Art, zum Beispiel dass ein Autor schreibt wie Tolkien; eine Welt schafft wie Bradley; dass eine Autorin ihre Welt als ein fortgeschriebenes Mittelerde aufbaut; oder, ganz grob aber dennoch einordnend, dass es sich bei einem Roman um Epische Fantasy handelt. Oder einfach nur Fantasy.

Rezensionen ordnen ein Buch zwischen anderen Büchern ein. Dabei bewerten sie es auch - teils objektiv, vor allem aber subjektiv. Zumindest dann, wenn es über Dinge wie Unmengen an Druckfehlern oder schlechte Aufmachung hinausgeht.

Rezensionen sind Meinung

Eine Rezension im Sinne von Buchkritik ist der Wortbedeutung nach eine Musterung, eine Prüfung, ob alles mit dem Buch in Ordnung ist. Hier gibt es aber eben keine Checklist wie bei einem Heer: Uniform sauber, Orden an der richtigen Stelle ... Was bei manchem Roman unpassend ist, kann bei einem anderen absolut passen. Dem einen tut eine langsame Szene gut; bei einem anderen kommt die Handlung durch sie vollkommen zu Stillstand. Das ist zumindest in Grundzügen noch ein wenig objektiv, insbesondere wenn alle so fühlen.

Aber oftmals sind es nicht alle, die das so empfinden. Und hier betreten wir den Bereich des persönlichen Geschmacks. Ich, beispielsweise, schätze Intertextualität, also den Verweis auf andere Texte, sei es durch explizite Anspielung, Erwähnung oder Verwendung und Veränderung von Szenen, Figuren, Handlungsorten. Das wird vermutlich(!) auf einige Vielleser zutreffen. An Weniglesern geht dies hingegen oft vorbei; im besten Fall erkennen sie die Anspielungen nicht; im schlechtesten werden sie von ihnen verwirrt und können sie gar nicht verorten.

Gute Rezensionen brauchen Mut zur Meinung

Eine gute Rezension kann daher nur gelingen, wenn der Rezensent den Mut mitbringt, seine Meinung zu sagen. Zusätzlich braucht er auch die Fähigkeit, seine Meinung sinnvoll auszudrücken und zu begründen. Denn egal ob ein Buch gut oder schlecht bewertet wird - viel wichtiger ist, warum es diese Bewertung erhielt.

Denn was dem einen missfällt, mag der andere womöglich besonders. Und Lesern steht es zumindest auf Grimoires.de frei, einen Gegenkommentar zu verfassen. Denn es bleibt dabei: Geschmäcker sind verschieden. Dessen sollte man sich bewusst sein. Denn es hilft, Empfehlungen in die eine oder andere Richtung auszusprechen: Wem würde dieses Buch gefallen, wem eher nicht?

Und es sollte vielleicht explizit gesagt werden: Rezensenten können sich irren. Sie schätzen durchaus vollkommen falsch ein, wie andere ein Buch wahrnehmen. Das geht auch Lektoren so - mancher Bestseller wurde von zig Verlagen abgelehnt. Das passiert einfach; damit muss man leben.

Gute Rezensionen müssen begründen

Wichtig ist dabei die Begründung - und diese hebt die Bewertungen zum Beispiel auf dieser Website von denen ab, die man so oft auf Amazon findet. "Rezensionen" möchte ich diese nicht nennen. Zwar gibt es auch hier durchaus gute und hilfreiche, viele sind aber wenig mehr als "gefällt mir", "find ich gut", "megatolles Buch!" und so weiter. Damit kann man nicht viel anfangen.

Hat ein Buch viele Bewertungen erhalten, ergibt sich vielleicht auch dadurch ein Bild - aber das ist nicht so gut wie beispielsweise bei einem objektiven Test von Winterreifen. Denn erneut: Objektiv messen kann man nicht - und womöglich gaben zwei Leser die gleiche Punktzahl, wobei dem einen das Buch zu schnell war, dem anderen zu langsam. Reine Punktwertungen sind daher ein eher dubioses Kriterium für die Auswahl von Büchern. Sie sind ein Indiz und können bei einer ersten Einschätzung helfen; aber sie sollten nicht als Einziges genutzt werden. Anders ausgedrückt: Auch ein Buch mit 99 % Top-Wertung wird vielen nicht gefallen.

Gibt es einen Bonus für bestimmte Autoren?

Grundsätzlich gibt es keinen Bonus für Autoren. Praktisch sieht es hier schon einmal anders aus. Einmal erhielt ich einen Kommentar, der darauf hinauslief zu sagen: Das ist doch das erste Buch dieser Autorin; da kann man doch nicht so gemein bewerten, wie ich es getan habe. Dem möchte ich entgegnen: Kann man nicht? Habe ich doch aber gerade gemacht. Und es gibt nun einmal keinen besonderen Schutz für Debüts. Wenn ein Geschäft neu eröffnet und einfach schlecht ist, dann spricht sich das rum und es macht wieder zu. Die Forderung, Debütautoren anders zu bewerten als etablierte ist genau das Gleiche. Und das wäre paradox. Grundsätzlich zumindest.

Praktisch und pragmatisch darf man es ein wenig differenzierter sehen. Auch Debütromane müssen sich daran messen lassen, ob sie handwerklich gut sind; ob sie letztlich gut unterhalten und vielleicht noch etwas anderes mitbringen. Aber darauf hinweisen, dass es ein Debüt ist, darf man schon - insbesondere bei Serien, die in der Fantasy ja weit verbreitet sind. Das kann dann auch einige Schwächen erklären. Die Leserin kann dann selbst entscheiden, ob sid diese dafür hinnimmt.

Geheuchelt wäre es auch umgekehrt zu sagen, dass bekannte Autoren neutral bewertet werden. Von Verlagsseite gesehen, hat ein bereits erfolgreicher Autor es einfacher, noch einen Roman zu veröffentlichen. Er hat schon verkauft; er wird sich wohl wieder verkaufen. Vor allem ist er kein neutraler Name mehr. Leser und Rezensenten begegnen ihren Büchern mit einer bestimmten Erwartungshaltung. Das gilt umso mehr bei einer Fortsetzung oder dem persönlichen Lieblingsautor.

Beide profitieren von einer positiven Grundstimmung aus vorherigen Büchern. Aber bei beiden spielt auch die Erwartungshaltung eine viel größere Rolle: Schreibt ein Autor plötzlich ganz anders, sind viele irritiert. Das ist auch mit ein Grund, weshalb einige Autoren für verschiedene Genres unterschiedliche Pseudonyme wählen: Jeder Name ist eine Marke für eine bestimmte Art Roman.

Was beeinflusst eine Rezension?

Man kann nun fragen, was eine Rezension beeinflusst. Das sind viele Faktoren, beginnend mit den Erfahrungen des Rezensenten, seinen Lebensumständen, seiner Erwartung ... Oft spielen Faktoren ineinander und überschneiden sich. Zum Beispiel:

  • Lebenserfahrung: Alles Gelesene misst sich daran, was wir selbst kennen.
  • Ideale, Moral: Vertritt der Autor oder seine Geschichte dem Leser widerstrebende Ideale, gefällt das Buch in der Regel nicht.
  • Lebensumstände: Leser aus verschiedenen Milieus nehmen ein und dieselbe Geschichte vermutlich unterschiedlich wahr.
  • Fachwissen: Ziemlich viele Experten aus einem Bereich verstimmt es, wenn Autoren die populäre Ansicht darstellen und diese schlicht falsch ist. Die meisten merken es hingegen nicht.
  • Persönlicher Geschmack: die Zusammenfassung obiger Punkte
  • Erwartungshaltung: Was erwarte ich von einem Roman? Wird die Erwartung enttäuscht, enttäuscht meist auch das Buch.
  • Lesezeit / Leseort: Wann und wo lese ich das Buch - in Ruhe daheim, beim Warten an der Bushaltestelle, im ständig laut unterbrochenen Zug ...?
  • Stimmung beim Lesen: Habe ich gute Laune oder schlechte; bin ich gestresst oder entspannt?
  • Direkt vorangegangen Lektüre: Insbesondere, wenn man Bücher direkt nacheinander liest, kontrastieren die Bücher gegeneinander.
  • Andere Bücher: Und auch alle jemals gelesenen Bücher halten natürlich mehr oder minder stark für einen Vergleich her.

Nicht alle dieser Faktoren sind überhaupt durch das Buch beeinflusst; im Grunde sogar die wenigsten. Man könnte sagen, das sei unfair; vor allem aber ist es, wie es ist, und jedes Buch muss sich diesem stellen. Auch können sich die Geschmäcker über Zeit ändern - und wer kennt nicht dieses eine Buch, das er als Kind geliebt hat, nun begierig in Händen hält ... und beim Lesen dann nur noch enttäuscht ist.

Fazit

Am Ende bleibt eine Rezension eben "nur" eine Meinung - hoffentlich eine gut begründete und nachvollziehbare Meinung. Hier ist es ähnlich wie mit Autoren, die einem gefallen. Hat man einen Rezensenten gefunden, der Bücher gut bewertet, die man selbst mag, so sind seine oder ihre Empfehlungen für einen selbst vermutlich gut - für die kleine Schwester nicht unbedingt.

Im Idealfall leisten Rezensionen eine begründete Einschätzung, ob ein Buch jemandem gefallen wird - und warum es das tut oder was es daran hindert.

Avatar von nico Artikel von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Dieser Artikel wurde veröffentlicht am und zuletzt geändert am .

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