Buch-Cover, Tian Di: Diktatur

Diktatur

Serie: Reisende (Isrogant) (#3)
Autor: Tian Di
Genre: Realistische Fantasy
Seiten: 729
Erschienen: 12/2012 (Original: 2012)
ISBN: 978-3-942357-11-1
Preis: 16,85 Euro (Softcover)
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Sein ganzes Leben lang genoss Ash Gooregan die Freiheiten, die ihm sein reiches Elternhaus bescherte: Er reiste durch ganz Isrogant und gründete einen Kampfkunst-Orden. Plötzlich findet er sich jedoch in einer vollkommen unerwarteten und ungeliebten Rolle wieder: Nach einem Putschversuch in Ciena wird er zum Diktator ernannt. Statt selbst aktiv zu sein, muss er nun in einem Büro sitzen und die Stadt organisieren, die zudem auf eine große Konfrontation mit der Kirche der Zweiten Offenbarung zusteuert, die anscheinend maßgeblich für den Putsch verantwortlich ist. Ash will eigentlich nur fort, zurück zum Prinzip politischer Neutralität auf dem er die She Bashi aufbaute, doch diesmal kann er kein "einfacher" Krieger sein. Wie begegnet man einem Gegner wie der Kirche? Wie kann ein widerwilliger Diktator sicher sein, im Sinne des Volkes zu handeln? Wie geht man mit Macht um, die einem alle liebgewonnenen Freiheiten nimmt? Und wie begegnet man einem fanatischen Feind, den die eigene Sicht oder das Leben des Volkes kein Stück interessiert?

Das Buch erhält 9-10 von 10 Punkten.

Über 700 Seiten: das ist deutlich mehr als die bisherigen Isrogant-Erzählungen aufboten und passt zum Werbespruch Isrogant wird episch. Der stimmt, aber Isrogant behält auch seine realistischen Tugenden und bleibt in meiner Hinsicht klein, wird politischer und ein wenig nachdenklicher, aber keinesfalls nüchtern.

Isrogant wird episch

"Isrogant wird episch", diese Kurzformel bringt das Merkmal auf den Punkt, das den Roman von den vorhergehenden Geschichten unterscheidet. Isrogant ist realistische Fantasy und folgte bislang einzelnen Personen in kurzen Episoden; Epik blieb allenfalls regional. Zu behaupten, die bisherigen Hauptfiguren wären typische Bewohner Isrogants, wäre indessen auch eine dreiste Lüge. Aber sie sind eben keine Weltenretter, -verbesserer oder -veränderer. Genau dies ändert sich hier gegenüber den Reisenden: Statt eher kurzer Episoden bekommt man in Diktatur einen langen Zeitraum präsentiert, der zudem sehr direkt die gesamte Welt Isrogant beeinflusst.

Der primäre Konflikt entsteht zwischen Ciena bzw. den She Bashi (die sich immer mehr ineinander verschränken) und der Kirche der Zweiten Offenbarung und steuert immer mehr auf einen offenen Krieg zu. Dies ist nicht ganz Säkularität gegen Religion, sondern eher eine Frage der Auslegung religiöser Texte – stellenweise darf man sich auch an reale Geschichte erinnert fühlen.

Im Gegensatz zu den Kurzgeschichten aus Isrogant ist Diktatur in einem eher distanzierten Blickwinkel geschrieben; Konfrontationen sind brutal und Einzelkämpfe oder Abenteuer sind eher die Ausnahme. Man könnte nun vermuten, dass Isrogant mit Epik in Richtung Mainstream geht und das verliert, was es ausmacht: den hohen Realismus. Diese Befürchtungen werden jedoch schnell zerstreut und auch beim Thema politische Macht geht Isrogant einen ungewöhnlichen aber realistischen und nachvollziehbaren Weg.

Aber Isrogant bleibt auch klein und realistisch

Auch wenn Isrogant episch wird: Die Handlungsorte bleiben überschaubar. Grob achtzig Prozent des Romans spielen in Ciena, der Rest führt in Episoden in andere Gebiete. Mehr als Orte wechseln jedoch die Figuren: Der Roman hat recht viele Haupt- und Perspektivfiguren, die man sich jedoch gut merken kann.

Den Kern der Diktatur-Führung kennt der Isrogant-Leser bereits und persönlich lege ich den Einstieg mit den Reisende-Romanen, in dem diese bereits einen wesentlichen Hintergrund erhalten haben. (Diktatur war ursprünglich als dritter und abschließender Teil der Reisenden gedacht, entwickelte sich aber zu einem Roman, der auch alleine stehen <i>kann</i>.) Dieser wird hier überzeugend weitergesponnen und auch einige Nebenfiguren tauchen wieder auf.

Im Zentrum der Diktatur stehen Ash und die Magierin Alica, die direkt von Ixils Yon und Shivan Germont unterstützt werden, die letzten beiden die Mitbegründer des She Bashi Ordens. Auch zur Führung zählen muss man Gioto, der aus bürgerlichen Verhältnissen stammt und sich unverzichtbar macht.

Kein klarer Weg

Bereits in dieser Führungsriege gibt es keine klare Meinung zum richtigen Vorgehen: Ash würde am liebsten alles schnell beenden und wieder neutral sein; Shivan sieht die Chance, Isrogant nach seiner Vision zu verändern und auch Alica sieht die Möglichkeit, der mystik-feindlichen Kirche effektiv zu begegnen; Gioto findet Dinge in der Stadt, die nun endlich und ganz konkret verbessert werden können.

Viele weitere Charaktere kommen hinzu, sei es ein Priester der Stadt, der nicht bedingungslos hinter der Kirchenführung steht; She Bashi die nicht direkt in die Regierungsarbeit verstrickt sind; schlichte Bürger oder auch Adelige und Bewohner anderer Reiche. Es gelingt ausnahmslos, die Ansichten und Meinungen der Figuren nachvollziehbar darzustellen.

Zudem kommt der Roman gänzlich ohne Behauptungen aus: kein "Er war der Meinung, dass…" – immer sind es die Handlungen, welche die Figuren greifbar machen. Bei all dem bleibt Diktatur sehr sachlich. Emotionen gibt es, aber gerade die zentralen Figuren handeln auffallend rational und überlegt, hinterfragen sich auch selbst. Ebenso fällt jedoch auf, dass die Kirche der Zweiten Offenbarung nie direkt zu Wort kommt – was allerdings auch Sinn macht nach einem Putschversuch, der Weigerung zu Unterredungen und fortlaufender Agitation in ganz Isrogant.

Das Problem mit der Regierung ...

Im Grunde fehlt aber eine Perspektive und mit dem nicht unverdienten schlechten Image des Despotismus kann es leicht fallen, Ash und seinen Helfen pure Propaganda vorzuwerfen. Ist die Täterschaft der Kirche vielleicht sogar konstruiert? Eher nicht, die weitergehenden Ereignisse sprechen eine deutliche Sprache. Was jedoch ebenfalls fehlt, ist die Stimmung im nicht direkt betroffenen Isrogant, die den politisch unerfahrenen Ash vollkommen erstaunt und nur in unvollständigen Berichten durchdringt.

Diktatur hat negative Konnotationen – und es mag manchen geradezu entsetzen, dass die obersten Richter Cienas die Einsetzung eines Diktators für die beste Reaktion auf den Putschversuch halten. Jedoch ist diese Diktatur weniger an Willkürherrschaft angelegt als an die Idee einer Notmaßnahme im Alten Rom: Es gibt Krisen, denen man schnell und effizient begegnen muss, in denen lange Diskussionen in Gremien (so typisch für die Demokratie) nur mehr Schaden anrichten.

Ash ist auch hier ungewöhnlich, gerade auch für einen Fantasy-Helden: Ash will die Macht nicht und statt Visionen umzusetzen, wird er eher zu einem Bremser der Reformen. Ganz anders ist da Shivan, der mit Feuereifer seine eigene Vision eines Beschützerordens für Isrogant vorantreibt – aber dabei vielleicht ein wenig zu sehr von seinen Ideen überzeugt ist und mit seinem Eifer konstant mit Ash aneinandergerät.

Die Diktatur wird trotz ihrer Probleme positiv gezeichnet: Immer wieder kommt es zu Fragen und Zweifeln, immer wieder wird auch die Stimmung im Volk überprüft. Ist der Weg noch der richtige? Müssen die Arreste der Geheimgarde sein? Gibt es eine Alternative? Unterstützt die Bevölkerung das Vorgehen? Sehr zu Ashs Überraschung tut sie dies – trotz steigendem Unwohlsein durch undurchschaubare Festnahmen und die üblichen Gerüchte. Der gute Ruf von Ash und den She Bashi hat hier großen Anteil – und das Eingeständnis von Anfang an, dass zwangsläufig Fehler gemacht werden und diese verheerender sind, als wenn man nur für sich verantwortlich ist.

Dennoch bringt eine Diktatur natürlich die inhärenten Probleme der Regierungsform mit: Nicht alle Charaktere entwickeln sich zum Guten weiter und manche Motivation darf man hinterfragen. Moralische Fragen tauchen auf: Kann Folter gerechtfertigt sein? Muss man im Angesicht zweier Übel nicht das kleinere wählen oder kann es einen dritten Weg geben? Was tut man, wenn eine unverzichtbare Person nach den eigenen, neuen und fairen Gesetzen zum Tode verurteilt werden müsste? Welche Legitimation hat man eigentlich – und wird die Diktatur nicht immer mehr zum Bösen?

Diese und weitere Fragen schwirren immer um das Zentrum der Handlung herum, teils explizit und teils in den Diskussionen der Charaktere. Ein dröges philosophisches Traktat braucht man nicht befürchten, auch hier hilft die hohe Zahl der Figuren. Nur ist Diktatur eben deutlich politischer als ein Sword and Sorcery Roman, auch wenn es zum Schluss zu einem ungewollten aber unausweichlichen Krieg kommt.

Was keinen Platz hat

Vieles könnte man herauspicken, das in dieser Rezension keinen Platz findet: Dass das Ende spalten kann, wenn man poetische Gerechtigkeit für alle wünscht – auch hier ist der Roman realistischer; dass aktive Moralisierung des Lesers ausbleibt; dass immer wieder mehr Modernität durchschimmert als in typischer mittelalterähnlicher Fantasy; die Frage nach dem Preis von Macht und Verantwortung; die Spiegelung des zersplitternden Isrogants in Giotos Familie; Ashs Problem, nicht selbst handeln zu können … die Liste ließe sich lang fortsetzen, denn die Diktatur verschwendet keine Zeit mit Leerlauf oder Wiederholungen.

Keinen Platz im Roman hat wie erwähnt die Stimme der Kirche der Zweiten Offenbarung – und auch die Stimmen von anderen, die sich von Ciena und den She Bashi abwenden, fehlen. Dies trägt zur Stimmung und zu den Zweifeln bei: Könnte man nicht reden? Gleichzeitig fokussiert der Wegfall dieser Stimmen stärker auf die Hauptfiguren, die zwar insgesamt positiv aber durchaus auch ambivalent präsentiert werden: Manchmal muss man Dinge tun, die falsch sind, um noch Schlimmeres zu vermeiden – aber kann das vollkommen entschuldigen?

Und wieder schweife ich ab in einer Rezension, die bereits Überlänge hat und doch viele Facetten ignoriert. Zum Abschluss bleibt zu sagen, dass ein vollständiger Überblick schwer zu bewerkstelligen ist, gerade weil Diktatur sich in vielem vom Mainstream abhebt. Diktatur ist subtil provokant und intellektueller als der Mainstream, verzichtet jedoch auf Anspielungen auf andere Literatur. Der Roman ist realistischer – und legt auch immer wieder den Vergleich mit der empirischen Welt nahe.

Vor allem aber ist Diktatur in meinen Augen ein absolutes Muss für Fans von realistischer, gedankenvoller Fantasy.

Diktatur ist verfügbar als eBook über Beam eBooks und als gedruckte Gesamtausgabe über Lulu Print-on-Demand. Gelesen wurde die (gedruckte) Vorab-Version.

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .


Zitat(e) aus dem Buch

  • Shivan atmete tief durch. "Ich denke, Demokratie hat ein paar echte Probleme und ein paar Vorteile. Das Volk, das eigentlich entscheiden soll, hat oft nicht die Kompetenz dazu, und viele wichtige Themen sind ihm sowieso egal. Außerdem sind die Menschen beeinflussbar, weil sie so gerne schlichte Antworten haben. [...] Andererseits hält die Demokratie schlechte Anführer in Schach. Als Kontrollfunktion super. Nur spült sie eben auch opportunistische Verführer in wichtige Positionen, und weil die ihre Posten behalten wollen, geht oft nichts voran, was unpopulär wäre. [...] Echte Volksherrschaft ist Flutschlamm, außer in ganz kleinen Gruppen, wo man alles ausdiskutieren kann."
  • "Hauch der Geschichte[...]. Das klingt gut, Meister Germont. Dabei habe ich einfach nur alles andere verloren."

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