Das Spiegellabyrinth
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Dieser unmögliche Reverend Dodgson hat alles verdreht! Nichts vom Wunderland ist so geblieben, wie Alyss Lidell es ihm erzählt hat - alles ist zu einem doofen Kindermärchen geworden. Sie hatte dem Reverend vertraut - doch auch er nimmt sie nicht ernst.
Deprimiert und wütend rennt Alyss davon, denn Sie weiss, was wirklich passiert ist: Sie ist die Prinzessin Wunderlands und ihre "Kopf ab!"-schreiende Tante Redd hat ihre Mutter getötet und mit ihren Kartensoldaten die Herrschaft an sich gerissen. Zusammen mit dem Modisten Mac Rehhut blieb Alyss nur die Flucht und so sprangen sie schließlich in den Teich der Tränen, der Alyss nach London brachte und schließlich zu den Lidells nach Oxford.
Unglücklicherweise scheint es keinen Weg zurück zu geben und Mac Rehhut ist irgendwo anders herausgekommen. Schlimmer noch: Alyss’ Geschichte wird von allen anderen nur Milde belächelt - bestenfalls. So kommt, es, dass Alyss langsam aber sicher ihre Erlebnisse als Halluzinationen oder kindliche Phantasie begreift, während die Rebellen im Wunderland verzweifelt nach einer Möglichkeit suchen, Redd, ihre Maschinen und ihren todbringenden Kater zu besiegen um schließlich der Weißen Imagination zu ihrem rechtmäßigen Platz zu verhelfen. Doch davon sind sie weit entfernt und ohne eine rechtmäßige Thronerbin stirbt der letzte Rest Hoffnung.
Das Buch erhält 9 von 10 Punkten.
Pflichtlektüre für alle Lewis Carroll (alias Rd. Charles Lutwidge Dodgson) und Alice im Wunderland Fans. Weiterhin ebenfalls ein Muss für alle, die es lieben, mit alten Texten zu spielen und sie in neuem Gewand zu präsentieren. Drittens ein absolutes Muss für jene, denen es zudem gefällt, wahre Ereignisse zu nehmen und sie mit einem kleinen Twist in eine phantastische Geschichte zu verwandeln.
Denn was ist "Das Spiegellabyrinth"? Historischer Roman? Soweit es die Ereignisse in unserer Welt angeht nahezu 100%: Lewis Carroll bekam die Inspiration für Alice im Wunderland auf dem Ausflug, der hier den Prolog bildet. Eine Alice Lidell gab es auch und der Reverend war eng mit der Familie befreundet, machte Photos von Alice. Einziger kleiner Dreher in der Handlung: Hier ist Alice ein adoptiertes Waisenkind. Die Verbindung zur Realität: Alice Lidell posierte als Waisenkind für den Reverend. Außerdem steht zu vermuten, dass Carrolls Geschichte nicht von ihr stammt, aber die gesamten Verknüpfungen zur nachweisbaren Geschichte sind einfach nur herrlich und selbst die hinzuerfundenen fügen sich logisch und glaubwürdig ein.
Gleichzeitig zeichnet Carroll ein Wunderland, das deutlich erkennbar ist (Kartensoldaten etc.) aber doch anders. Dies ist kein Märchenland, es ist gefährlich und Redds Herrschaft brutal, so dass der Autor mit gewisser Notwendigkeit im Voraus sagt: "Die besonders Sensiblen unter den Lesern werden sich vielleicht lieber an die klassische Märchenerzählung von Lewis Carroll halten.“ Diese Umsetzung ist allerdings auch mein größter Kritikpunkt, so klein er ist.
Die Moral der Geschichte lässt sich hier als schwarz-weißer Kampf von Phantasie gegen Technologie deuten. Die Kartensoldaten, Big-Brother gleiche Bebachtung und viele andere Dinge Redds sind das, was man unter Kriegsmaschinerie versteht, vielmehr aber industrialisierter Technik; Gefangenenausbeutung und Zwangsarbeit eingeschlossen. Was mich daran stört ist nicht so sehr die nahe liegende Interpretation (samt Schwarzer/Weißer Imagination, wobei die schwarze auf Seiten der Technologie ein wenig fehl am Platze wirkt – immerhin bleibt es Phantasie) sondern dass es das Phantastische ein wenig zerbricht. Künstliche Haut? Gläserne Augen als roboterähnliche Geschöpfe? Jedes mal runzelte ich die Stirn: Es passte nicht so recht in eine phantastische Welt – zumindest nicht für meine Begriffe. Ja, ich zähle mich durchaus mit zu den „Kein Schwarzpulver in einem Fantasy-Setting“-Hardlinern. In der Phantastik ist dies zwar ein wenig gelockert, dennoch empfand ich genannte Dinge immer wieder unpassend. Vielleicht war das aber gerade Absicht?
Ein weiteres kleines Problem könnten einige Begriffe sein: Homburg kenne ich als Stadt bzw. Titel (von Homburg), nicht als ein Hut und auch bei anderen Dingen wusste ich nicht so recht, was sie sein sollen. Dies sind aber Kleinigkeiten, über die man hinwegsehen kann, zumal man trotz allem eine recht deutliche Vorstellung bekommt – so schlimm wie im „Jabberwock“ wird es so oder so nicht. Die für mich unpassend wirkenden Elemente der Geschichte waren auf der Negativseite weitaus bedeutender.
Zudem mag man kritisieren, dass das Ende klar ist und auch direkt im Buch genannt wird. Allerdings: Wer zweifelt ernsthaft an einem zumindest teilweise guten Ende? Denn ein solches Ende gibt es, wenngleich einige Dinge im Wunderland doch sehr offen bleiben und auch die Auswirkungen auf unsere Welt. Auch von einem interpretatorischen Standpunkt (s.o.) kann sich kein schlimmes Ende durchsetzen: Mit diesem würde der Autor das Todesurteil für seinen eigenen Beruf und die Phantasie niederschreiben.
Auch die Übersetzung ist weitestgehend gelungen. Einzelübersetzungen sind fraglich: "Modist" war zuvor "Hatter" - Hutmacher also, wenngleich dies hier eher eine Art James-Bond-Kampfmaschine ist (die sich perfekt ins Wunderland einfügt). Dass viele Leute wissen, was ein Modist ist, wage ich anzuzweifeln - ich musste erst suchen und kam auf den Ursprung der Figur erst durch Lesen einer englischen Textprobe. Wieso "Hatter Madigan" dann auch gleich zu Mac Rehhut wurde, kann ich nicht nachvollziehen, schadet aber auch nicht - außer im Klang, der im Deutschen m.E. etwas sperrig und langgezogen ist im Gegensatz zum kurzen, schnittigen Original. Der Titel des Romans hat durchaus seine Berechtigung, schade ist nur, dass die Referenz zu Alice im Wunderland verloren geht: Im Original hieß Lewis Carrolls zweiter Roman über Alice "Through the Looking-Glass" und dieser Roman "The Looking Glass Wars"
Alles in allem aber ein Buch, das die Times mehr als zu Recht als "Book of the Year" (Buch des Jahres) 2004 auszeichnete. Wenngleich nicht für die jüngsten Leser geeignet, ein Muss für alle, die Alice im Wunderland genossen haben (was kein Muss ist, aber sicher zu diesem Buch beiträgt - die grundlegende Geschichte sollte man kennen) und insbesondere für alle, Geschichten lieben, die auf anderen, älteren basieren. Ein Buch, das ich bedenkenlos als Weihnachtsgeschenk empfehle!
Man beachte auch den grandiosen Trailor (Flash) unter http://www.lookingglasswars.com - wenngleich dieser die eigene Vorstellung der Wesen sicher vorprägt, in diesem Sinne also ein leicht zweifelhafter Genuss ist (wenngleich auch hier die technologischen Dinge fehl am Platz wirken, s.o.). Die Seite hat auch umfangreiches weiteres Material zu diesem Roman - mehr als einen Blick wert, sofern man das Englische beherrscht.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- [Nanik Schneeweiß] war hochintelligent, hatte jedoch die Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen, was nicht wenige Leute befremdlich fanden, vor allem Mitglieder der Familien Karo, Pik und Kreuz[...]. [Nanik] unterhielt sich gern mit gebildeten Leuten, und weil es nicht viele Leute gab, die so gebildet waren wie er, führte er eben Selbstgespräche.
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