Dämonen, Monster, Schattenwesen Hall of Fame der Kreaturen
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"Dämonen, Monster, Schattenwesen. Hall of Fame der Kreaturen" (DMS) basiert auf dem "Buch der Dämonen" von Tabea Rosezweig und Sergej Koenig. Bearbeitet wurde es von Jakob Schmidt, der ebenfalls Erweiterungen vornahm. Die Probleme, die sich den drei Autoren bzw. Bearbeitern stellten dürften identisch sein und sind bewusst, weswegen ich an dieser Stelle das Vorwort zitieren:
"Bald wurde mir klar, dass mein größtes Problem nicht wäre, Material für das Buch der Dämonen, Monster, Schattenwesen zu finden, sondern es zu begrenzen" (S. 5).
Dem ist in dieser Hinsicht nichts hinzuzufügen. Das Buch ist ein Taschenbuch von 248 Seiten. Sieben verfallen auf Vorwort und Titelseite; acht auf die generell sinnvollen Quellangaben und Literaturverweise; und hinzu kommen grob geschätzt 20 volle Seiten mit Abbildungen von antiken oder mittelalterlichen Kunstwerken, welche die Wesen portraitieren. Auch diese Bilder sind sinnvoll, reduzieren aber den reinen Text für die Beiträge auf rund 210 Seiten, und das ist beileibe nicht viel.
Ein umfassendes Lexikon, so viel sollte klar sein, kann DMS also nicht sein – trotzdem es sich selbst laut Umschlagtext als „Nachschlagewerk“ versteht. Um es auch gleich auf den Punkt zu bringen: derzeit kann ich hier keine Alternative vorschlagen, erst recht nicht im deutschen Raum. Lexika sind entweder von ähnlichem Umfang und dementsprechend lückenhaft, oder sie sind spezialisierter wie die Werke der Bandinis (Buch der Drachen, Buch der Zwerge etc) oder bspw. das Buch der Kunsttechniken in der Fantasy oder fokussieren sich auf einen Mythen- und Sagenkreis. Wenn es nun aber kein Lexikon ist, kein Nachschlagewerk – immerhin wird es als „ungewöhnlich“ ausgegeben –, so muss man sich die Frage stellen, was DMS eigentlich ist oder sein will. Im weitesten Sinne will es sich sicherlich auch zum Nachschlagen offerieren, aber in dieser Funktion kann es nicht wirklich Punkten - es ist zu unvollständig. Man kann sich einfach nicht darauf verlassen, einen bestimmten Eintrag zu finden. Zudem fehlt hier ein eindeutiges Organisationsprinzip: Manche Einträge betreffen Monstergattungen (bspw. Vampire), andere Unikat-Monster (bspw. Baba Yaga). Gelegentlich werden Unikate allerdings auch in der Gattung abgehandelt; in anderen Fällen finden sich Verweise auf eigene Einträge - diese gibt es aber längst nicht für jedes Verwendete Monster, selbst wenn sie ebenso bedeutend sind wie die anderen. Naja, gut irgendwo muss man kürzen, aber schön ist dies nicht, auch wenn eine Reise durch verschiedene Mythenkreise seinen Reiz haben mag Eventuell hätte man auf Unikate verzichten sollen bzw. diese konsequent in die "Gattungen" einarbeiten: wenn man Gorgonen schon erwähnt, verdienen alle drei oder keine einen Extraeintrag. Mit diesem Beispiel sind wir auch beim nächsten Punkt: das Buch ist stark mythologielastig. Dies wird bei fast allen Monsterbüchern so sein, zugegeben, aber hier fällt es sehr stark ins Auge: Nordische Mythologie, Antike Griechisch/Romische Mythologie, Sagen und Legenden aus Arabien, Japan, China, Afrika begleiten fast jeden Eintrag. Fantasy kommt relativ kurz, trotzdem der Bezug zu dieser als Schwerpunkt angegeben wird (!), und wird in den meisten Fällen relativ kurz erwähnt. Oftmals aber gibt es gar keinen direkten Zusammenhang. Auf die bedeutendsten Werke der Fantasy, welche diese Figuren benutzt, wird kurz mit Titelverweis eingegangen. Diese Titelverweise sind jedoch nur eine Auswahl jener Titel, die dem Bearbeiter anscheinend wichtig waren und kehren mit schöner Regelmäßigkeit zu denselben Autoren wieder: Tolkien, Rowling, Beagle und andere.
Nun sind diese sicherlich so bekannt, weil sie einflussreich waren, aber dies führt oft zu Missrepresentationen der Einträge - zumal einige nur für diese Autoren eingefügt scheinen. Eine umfassendere Quellangabe wie aus literaturwissenschaftlichen Lexika mit einer ganzen Reihe an Titeleinträgen und eine Art historische Reihung verschiedener Verwendungen gibt es also nicht. Hier zeigt sich dann zugleich ein Folgeproblem: Meist schießen sich die Einträge auf EINE Sicht eines Monsters ein, nur wenige stellen historische Unterschiede dar. Dies ist bisweilen mehr als kurios so hat die Hydra (die es hier NUR als Unikat gibt und die keine Verknüpfung in die Fantasy hat) laut Eintrag neun Köpfe – die Abbildung dazu zeigt allerdings 7; laut Eintrag "Werwolf" gibt es keine weiblichen Werwölfe: das Wort bedeutet Mann-Wolf nach dem althochdeutschen 'mân' und schließe so Frauen aus. Ironischerweise werden im gleichen Eintrag dann noch weibliche Werwölfe erwähnt und so eindeutig ist die Etymologie für rein männliche Wesen nicht: man denke an generisches Maskulinum und vergleiche einmal einige den Menschen bezeichnende althochdeutsche Worte.
Auf die etymologische Namensbedeutung wird gelegentlich eingegangen aber – einmal mehr – inkonsequent. Beim Minotaurus fehlt die Herleitung beispielsweise (und auch dieses Monster ist für DMS lediglich das griechische Original).
Andere Einträge sind schlichtweg falsch: Zwerge sind definitiv NICHT immer dickbäuchig und hässlich - eine Behauptung die umso seltsamer wirkt als dass neuere Fantasyliteratur hier angeführt wird. Runzelig, ältlich vielleicht, aber die Wortwahl macht es an dieser Stelle aus. Auch Mehrzahl und Einzahl bereiten Probleme: Mal sei 'Serpahim' Einzahl (falsch- Seraphim ist der Plural), doch dann ist im selben Eintrag die Einzahl 'Seraph' (korrekt) - und es gibt plötzlich nur noch einen (totaler Blödsinn: selbst der an sich richtige Verweis auf Jes 7,2 spricht von mehreren Wesen). An anderer Stelle kommt es nicht direkt zu Fehlern aber zu Missrepräsentationen die zudem eigentlich nichts zur Sache tun: Der Eintrag "Grendel" erzählt einen Teil der Beowulf-Saga nach, angeblich wie Beowulf gegen Grendel kämpft, endet aber erst mit glorreichem Sieg gegen dessen Mutter - hier erscheint Beowulf fälschlich als herausragender Held. Dies ist sehr unschön, bedenkt man den weiteren Ausgang des Epos.
Es lässt sich also sagen, dass das Buch als Lexikon mit definitiven Antworten nur mit GROSSER Vorsicht zu bedenken ist. Der generelle Tenor ist nie gänzlich falsch aber man sollte sich bewusst sein, dass es zu allen Einträgen meist auch Varianten gibt, die einfach verschwiegen werden. Sie werden verschwiegen zugunsten einer einzigen Definition, die bisweilen suspekt ist. Die moderne Fantasy ist insgesamt auch unterrepräsentiert, es geht mehr zurück zu mythischen Quellen. Schade, denn dafür geht es bessere Lexika und der besondere Bezug zur modernen Fantasy wurde schlicht und einfach verfehlt – in dieser Hinsicht absolut mangelhaft.
Überhaupt sollten wir entscheiden, dass DMS eigentlich kein echtes Lexikon sein will; die Form mit vielen Einträgen und Verweisen legt dies lediglich nage. Dies macht DMS zu einem 'seltsamen' Werk: zum Nachschlagen zu ausgewählt und zum Durchlesen...? Nun, ich gebe zu: ICH habe es von vorne bis hinten durchgelesen aber dies ist eine eher ungewöhnliche Herangehensweise. Bei diesem Buch ist dies aber anscheinend erwünscht, denn der Stil der Einträge ist zwar manchmal typisch lexikal mit fehlendem Verb, generell aber ausformuliert und mit durchaus flapsigen und leicht humoristischen Einschüben und Kommentaren versehen. Als Beispiel sei hier der letzte Absatz des Eintrags 'Zauberer' zitiert: "Alle anderen Vertreter ihres gewiss ehrenwerten Standes, die hier leider nicht genannt werden konnten, bitten die Verfasser, von etwaigen Schadenszaubern und/oder Verwandlungsflüchen abzusehen und sich stattdessen um David Copperfield zu kümmern." In einem 'ernsthaften' Lexikon wäre so etwas fehl am Platze und auch andere Einträge sind mit vergleichbaren Einschüben gefüllt.
Kurios: Eintrag 'Zwerge' wird der Überzwerg erwähnt - ein Schelm wer Arges dabei denkt und dem der zeitgleich erscheinende Titel "Zwerg und Überzwerg" einfällt – zuvor jedenfalls hatte ich rein gar nichts von Überzwergen gehört. A propros – warum dann kein Eintrag zum Hornlosen Einhorn? (Das nennt man für gewöhnlich Pferd.) Gegen ein Monsterkompendium des eigenen Verlages wäre im Übrigen nichts einzuwenden: "Dhampir" sagte mir zuvor Beispielsweise nichts, wird hier aber umfangreich und auch volkstümlich erklärt. Letztlich ist DMS aber auch nicht auf die Verlagsveröffentlichungen zugeschnitten. Abgerundet wird das Buch durch die Quellnachweise die eine Auswahl von Werken zu sehr spezifischen Themen bilden - man denke an Anfangs geschildertes Problem. Am Titel selbst muss man schließlich kritisieren, dass man den Begriff Monster sehr weit fasst, auch über die lateinische Originalbedeutung. Viele Götter(!) werden zudem ganz einfach als Dämonen bezeichnet und in die Reihe der Monster einbezogen - hier hätte man viel besser kürzen können, denn diese Wesen gehören einfach nicht dazu. Loki ist ein Gott, kein Dämon - das ist etwas deutlich anderes als von der mittelalterlichen Kirche dämonisiert zu werden. Und was Engel angeht… nun ja.
Insgesamt komme ich damit zu folgenden Schluss: Als Nachschlagewerk sind andere Werke besser, meist die spezifischeren; eine zumeist eingleisige Betrachtung verschiedener Monster läuft Gefahr, Varianten als 'falsch' kennenzulernen bzw. sie gar nicht kennenzulernen. Zudem verweilt das Buch meist bei Einzelkreaturen die inzwischen längst als Völker in die Fantasy Einzug hielten, und stützt generell das klassische Bild mehr als Adaptionen, die nur in wenigen Fällen hervorgehoben werden. Das Ziel, insbesondere die Bearbeitungen und die Bedeutung in der modernen Fantasy hervorzuheben wird schlichtweg verfehlt – einige Einträge die scheinbar nur für Tolkien und Co. verfasst wurden, reichen da nicht.
Hervorheben kann man, dass das Werk durchaus lesbar ist, was nicht generell auf Lexika zutrifft: der Stil ist eher plaudernd, Fachwörtelei und Fremdsprachen werden vermieden. Aber hier ist man eventuell ist mit Nacherzählungen der Edda oder Sammlungen von Volkssagen aus dem spezifischen Bereich besser beraten.
Schade: "Dämonen, Monster, Schattenwesen" kann weder das bislang fehlende Lexikon der Fantasywesen liefern noch einen guten Schritt dorthin tun. Die Auswahl der Wesen ist nicht eng genug und scheint keinerlei Methode zu folgen; Verweise in nennenswertem Umfang auf moderne (oder auch ältere) Fantasy bleiben leider aus.
An welche Lesergruppe es sich zuletzt richtet? Ich habe keine Ahnung.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
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