Buch-Cover, Andrzej Sapkowski: Die Dame vom See

Die Dame vom See

Originaltitel: Pani Jeziora [POL]
Serie: Geralt-Saga (#7)
Übersetzer: Erik Simon
Genre: Fantasy
Verlag: dtv
Seiten: 639
Erschienen: 03/2011 (Original: 1999)
ISBN: 978-3-423-24817-4
Preis: 15,90 Euro (Softcover)
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Die Welt versinkt im Krieg - und doch will Ciri in genau diese Welt zurückkehren. Weg von den Elfen, die sie gefangen halten und sie zwingen wollen, mit ihrem König ein Kind zu zeugen. Doch Flucht ist nicht einfach, selbst dann nicht als es Ciri gelingt, den Elfen zu entkommen: es gibt viele Welten, wie soll sie ihre eigene wiederfinden?

Neben dem Krieg warten dort auch Freunde und Feinde auf sie: Geralt und seine Verbündeten suchen unablässig nach ihr und versuchen den Einfluss zu stören, den die Loge der Zauberinnen, der Zauberer Vilgefortz und der Kaiser von Nilfgaard auf Ciri nehmen wollen - egal, wo sie ist. Und auch Yennefer befindet sich Gefangenschaft, während düstere Omen erscheinen.

Das Buch erhält 9-10 von 10 Punkten

Arthuriania - Frames in Frames und um Frames

Was hat König Artus mit Andrzej Sapkowskis Hexer-Reihe zu tun? Nicht viel und einiges. "Die Dame vom See" ist aus den Artus-Erzählungen bekannt und bereits im vorigen Band wurde Ciri als "Dame vom See" betitelt aber im abschließenden Roman wird das Arthurianische stärker: Der Leser trifft auf Galahad, auf Nimue und Condwiramurs - allesamt Figuren aus der Artus-Epik, denn in genau diese Welt ist Ciri hinein geraten. Das spielt nur eine nebensächliche Rolle, denn die Handlung wird von Ciri im Rückblick erzählt.

Interessant ist dabei eine mehrfache Rahmung: In Sapkwoskis Artus-Welt ist die Legende von der Hexerin und dem Hexer (also Ciri und Geralt) bekannt - und man rätselt, wie es wirklich ausging, versucht sogar über Welten und Zeiten hinweg, zu helfen. Dies bleibt nicht der einzige "Frame", also Rahmen, des Romans. Die Perspektiven wechseln mit verschiedenen Referenzfiguren, die oft nach vielen Jahren ihre Erinnerungen wiedergeben. Subjektivität und Zweifel an der gänzlichen Korrektheit des Erzählten sind damit steter Begleiter in diesem Roman.

"There are other worlds than these" – ontologische Zweifel

Ok, Steven King aus dessen Dark Tower Reihe das Zitat stammt hat mit diesem Roman nun wirklich nichts zu tun – die vielen Welten aber sehr wohl. Ciri ist zu Beginn ihrer Erzählung in der Welt der Elfen. Nach einigem hin und her findet sie Freunde und entschließt sich zur Flucht – sie hat wenig Interesse daran, den Elfen mit ihrem König ein „prophezeites Kind“ zu gebären, zumal diese nicht als freundlich bezeichnet werden können. Die Flucht führt Ciri als

"Herrin der Zeiten und Welten" durch verschiedenste Welten, auch unsere. Dies führt zur Stellung der ontologischen Frage: Welche Welt ist dies? Zweifel sind also auch auf dieser Ebene des Romans vorherrschend – nur eine Welt ist Ciris, und wie soll sie diese erkennen? Es gibt andere Welten, ja: Jede einzelne Erzählung ist in gewissem Sinne eine Welt. Wie kann der Erzähler sicher sein, dass er das richtige Ende liest? Schon Nimue und Condwiramurs bieten gleich am Anfang Varianten. Selbst Ciri endet zuletzt: "Ich bin selbst dort gewesen, hab getrunken und gegessen. [...] Wie im Märchen". Ja. Wie im Märchen – aber war es denn eines? Wie man es nimmt, simpel oder geradlinig ist Sapkowskis Werk auf keinen Fall und für eine literaturwissenschaftliche Untersuchung durchaus denkbar.

Das Ende der Märchen - dreckige Realität

Ein Märchen hingegen ist dieser Roman nicht. Schon in den Vorbänden waren Krieg und Kampf brutal und dreckig. Dieser Trend setzt sich fort: Es sind nicht die guten, die glorreich siegen oder den Heldentod sterben. Der Tod ist dreckig und ereilt vor allem jene mit zu hoher Moral – ein sinnloser Tod ohne Fanfare oder Rettung der Welt. Dies ist ein starker Kontrast zu oft märchenhafter Fantasy die eindeutig polarisiert und die Guten trotz oder gerade wegen Opfer siegen lässt – hier wirkt der Roman deutlich „realistischer“.

Der Krieg ist kein edler Kampf; es gibt keine Guten. Verschiedene Fraktionen haben ihre eigenen Ziele – von denen manche zwar eindeutig der „bösen“ Seite (vielleicht passender: unethischen) zugeordnet werden können, aber die „gute“ Seite markant leer bleibt. Vor Genozid an Nichtmenschen wird nicht zurückgeschreckt – jene Nichtmenschen haben meist noch ein positives Bild, wollen letztlich aber auch nur überleben und töten dafür wie alle anderen. Andererseits sollte man lieber nicht von Elfen als gut denken – die Taten der Elfen sind geradezu ungeheuerlich, aber dennoch schützt sie dies nicht davor als zerlumpte gejagte durchs Land zu fliehen.

Einen Kontrast zu dieser „Realität“ bietet das Märchen-Reich Toussaint, in dem es noch fahrende Ritter gibt. Vereinzelt tauchen auch in der weiteren Handlung Märchenmotive auf, wie „kalte Splitter“, aber von den märchenhafteren Kurzgeschichten ist nichts geblieben. Stattdessen sind Anklänge an unsere Realität deutlich, wenn man ein Stück weiterdenken will. Sehr offensichtlich sind noch Pogrome und Rassenhass (mit der einzigen Berechtigung dass Zwerge, Halblinge usw. per definitionem andere Rassen sind – der Autor stellt sie jedoch nicht als besser oder schlechter als Menschen dar. Sie schlicht als andere Kulturen zu lesen bietet sich an.). Sapkowski moralisiert dabei nie – das braucht er nicht. Das Geschehen spricht für sich selbst. Selbst Figuren kommentieren nicht – sie kommentieren das Geschehen und in ihrer Erzählung findet sich auch eine Bewertung, aber sie moralisieren dabei nicht, stellen vielmehr darauf ab, wie die Politik sie gerade selbst betrifft.

Alte Figuren, abgeschlossene Geschichten

Im Laufe der Kurzgeschichten und Romane hat Sapkowski einige Figuren eingeführt von denen viele noch einmal auftreten – und meistens von ihrem Ende berichtet wird, das ganz unterschiedlich ist: beispielsweise der Schreiber Jarre, der in den Krieg zieht und schließlich davon berichten kann; oder die Hexer aus Ker Mohen; Triss Merrigold und die anderen Zauberinnen. Mal wird ihr Ende „live“ geschildert, mal erzählen andere im Rückblick; Prophezeiungen von vor langer Zeit erfüllen sich.

Gerade für viele zentrale Charaktere bedeutet dies den Tod. Keinen Heldentod - ein Pfeil ein Zauber ein Hieb mit der Waffe und auch über tausende Seiten begleitete Figuren sterben ohne weitere Beachtung. Manchmal ein wenig heroisch – aber zugleich unnütz oder schnell, wie man es aus Standard-Fantasy nicht erwartet: Hier gibt es keine finale Belohnung der Tapferen.

Neben diesen beiden bekommt auch die Geschichte um Ciri, vielfach mit ihren Wahl-Eltern verwoben, einen Abschluss. Der Leser erfährt, was damals wirklich geschah und warum Kaiser Emrys ein so großes Interesse an Ciri hat, noch jenseits von bloßer Politik.

EIN Ende

Die Ironie und Tragik Geralts ist es, dass er als Hexer nicht menschlich ist aber selbst in den „Ungeheuern“ die er eigentlich ohne Fragen töten sollte allzu oft das Menschliche sah, das Ethische, das Gute. Gerade dies brachte ihn immer wieder unnötig in Gefahr und zuletzt schwört er diesem ab – doch seine Nichteinmischung wird ein letztes Mal auf die Zerreißprobe gestellt und beendet auch seine Geschichte. Ist in dieser Welt und Zeit noch Platz für ethisches Handeln? Macht ein einzelner einen Unterschied? Das Ende macht eine gewisse Hoffnung in der Artus die Position König Artus’ in Avalon einnimmt, als eine Art Schlafender König. Andererseits heißt es aber auch, Artus ist tot und es gibt ein Grab. Selbst hier also gibt es keine klare Aussage, sobald man nur ein kleines Stück weiter denkt.

Ein Ende muss auch ich finden, bei dieser Rezension. Und das ist schwer. Sapkowskis finaler Hexer-Roman bietet einfach sehr viel, das man erwähnen könnte und das den Roman von lahmer Standard-Fantasy abhebt. Diese Kritik war zuvor mehr als doppelt so lang; ein Kommentar zu diesem Roman wäre nicht allzu kurz. Anspielungen gibt es viele, teils direkt, teils subtil (und natürlich viele aus den Artus-Epen). Wer sie kennt versteht sie und lacht oder wird nachdenklich; wer sie nicht versteht liest darüber hinweg. Ultimativ bleibt auch die Frage, was Geralt mit seinem Leben letztlich bewirkt hat. War er ein Held? HAT er etwas bewirkt? Abschließen möchte ich mit der Empfehlung: Unbedingt lesen, solange man an den vorigen Hexer-Romanen auch nur ein wenig Freude gefunden hat. Sapkowski legt noch einmal ein gutes Stück zu. Und (selten genug!) zitiere ich auch einmal den Buchrücken:

"Ich bin mir nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich schon zu Ende ist. Denn du musst wissen, dass sich Vergangenheit und Zukunft schrecklich verflochten haben. In jedem Augenblick liegt die Ewigkeit."

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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .


Leseprobe

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Die Dame vom See - Leseprobe (extern)

Zitat(e) aus dem Buch

  • "Ich bin mir nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich schon zu Ende ist. Denn du musst wissen, dass sich Vergangenheit und Zukunft schrecklich verflochten haben. In jedem Augenblick liegt die Ewigkeit."
  • "Vaesse deireadh aep eigean... Etwas ist zu Ende gegangen. Etwas beginnt."

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