Buch-Cover, Marcin Zwierzchowski: Das Erbe des Weißen Wolfs

Das Erbe des Weißen Wolfs

Serie: Geralt-Saga
Übersetzer: Erik Simon
Genres: Dark Fantasy; Kurzgeschichten
Verlag: dtv
Seiten: 416
Erschienen: 06/2022 (Original: 2017)
ISBN: 978-3-423-26319-1
Preis: 16,00 Euro (Softcover)
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Wertung: 4/5 Grimoires; 8/10 Punkte, Gut bis sehr gut

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Kurz & Knapp

  • Geschichten aus der WELT Geralts - nicht immer mit Geralt
  • Gelungene Hexer-Hommage: Ich fühle mich in der richtigen Welt
  • Interessante Twists und Perspektivwechsel der Autoren

Erbe des Weißen Wolfs deutet es schon an: Hier geht es nicht mehr um den bekanntesten Hexer. Zumindest nicht direkt. Dies sind keine Geralt-Geschichten, sondern Geschichten aus seinem Umfeld. "Erben" ist dabei eher metaphorisch zu verstehen, vielleicht auch auf die Autoren bezogen. Ihre Geschichten handeln von Nebenfiguren aus Sapkowski-Erzählungen, nehmen andere Perspektiven ein, spinnen Geschichten fort und füllen Lücken. Auch einige neue Figuren steuern sie bei, aber fast immer mit konkretem Bezug.

Dabei kommt nicht ganz die Stimmung auf, die Andrzej Sapkowski in seinen Romanen kreierte. Aber auf verschiedene Weise gibt es Anklänge: in der Struktur, in den Figuren und, ja, manchmal auch in der Stimmung. Es ist ein spürbarer Ausflug in eine bekannte und liebgewonnene Welt - und führt sogar ganz zum Anfang zurück.

Das Erbe des Weißen Wolfes entstand aus einem Erzählwettbewerb der polnischen Fantasy-Zeitschrift Nowa Fantastyka und liegt in dieser Form erstmals in deutscher Übersetzung vor.

Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.

Gelungene Mischung

Eine Anthologie, also eine Sammlung von Kurzgeschichten verschiedener Autoren zu einem Thema, stellt Rezensenten immer vor ein Problem (oder vielleicht auch nur mich): Jede Geschichte einzeln bewerten, nimmt viel Platz ein - und ruiniert mitunter die Pointe, wenn man allzu lang darüber redet. Ein Mittelwert einzelner Wertungen fängt den Gesamteindruck zudem nicht richtig ein: manchmal ruinieren aus der Reihe fallende Geschichten diesen, so unfair das für die anderen Geschichten ist.

Hinzu kommt natürlich: Der Gesamteindruck ist auch schwer zu bewerten, da es nicht nur unabhängige Geschichten sind, sondern auch unterschiedliche Autoren mit jeweils eigenem Stil. Der Gesamteindruck ist daher fast zwangsläufig gemischt und wird nur durch das zentrale Thema vereint.

Meine Wahl fällt auf eine Mischung: Ein wenig gehe ich auf alle Geschichten ein, versuche aber dennoch, eine übergreifende Bewertung.

Das wichtigste zuerst: Die Sammlung ist gelungen. Keine der Geschichten fällt qualitativ stark aus der Reihe. Aber natürlich habe ich Favoriten. Alle Geschichten sind in die Hexer-Welt eingebunden: Mal an Figuren, mal an historisch-konkrete Ereignisse, mal spielen sie irgendwann in den Lücken alter Erzählungen. Dabei kann man verschiedene Gruppierungen bilden.

Wiedersehen mit Geralt

Am nächsten an Sapkowski (so könnte man zumindest meinen) müssen doch die Geschichten sein, in denen Geralt selbst auftritt! Davon gibt es mehrere: Die Grenze der Wunder ist in dieser Hinsicht recht klassisch, mit Geralt, Rittersporn, einem Monster und einem Auftrag. Die Geschichte bildet den Auftakt zum Buch und passt als solcher. Denn man findet das alte Muster: Monster und Menschen; ein Körnchen Wahrheit in alten Legenden; ein Hexer, dem man mit nicht allzu großer Freundlichkeit begegnet ... und ein Rittersporn, der sich auf allzu bekannte Art in Schwierigkeiten bringt. Bemängeln mag man dabei genau das: dass sie der bekannten Struktur sehr und vielleicht etwas zu stark folgt.

Auch in Blut auf dem Schnee trifft man Geralt von Riva erneut, diesmal zusammen mit Lytta Neyd, der Koralle. Am Tag vor der Schlacht von Sodden erinnert sie sich an ein Abenteuer mit Geralt - das man ein wenig anders kennt als hier berichtet. Es ist nicht die letzte Erzählung, die eine andere Perspektive auf Bekanntes bietet. Dabei gelingen einige der Anklänge - aber an anderen Stellen fragte ich mich, worauf die Ganze Expedition hinauslaufen soll.

Keine bekannte Geschichte aber ein bekanntes Schema bietet Ironie des Schicksals in der einmal mehr ein Monster versucht, sich unter Menschen einen Platz zu sichern und schließlich auf Geralt trifft. Dabei variiert sie: Nicht immer sind die

Menschen das einzige Problem.

Andere Hexer

Einen Schock, einen kleinen Stich versetzt mir Zwei Köpfe: Geralt tot, Yennefer tot, Ciri verschwunden. Nun ja, wer die Romane gelesen hat ... Um Geralt geht es in der zweiten Gruppe von Geschichten nicht. In dieser stehen Triss Merigold und der Hexer Lambert im Mittelpunkt. Gleichwohl erinnern sie sich in ihrem eigenen Abenteuer viel an DEN Hexer zurück, der im Weiteren nur noch ein einziges Mal namentlich erwähnt wird.

In dieser Geschichte wie in anderen kommt Geralt nur am Rande vor. Stattdessen stehen andere Gespanne im Zentrum: In Skala der Pflichten treffen wir auf den Hexer Coen und die Kopfgeldjägerin Narsi. Coen nimmt eine andere Haltung gegenüber Politik ein als Geralt. Letztlich spielen diese und andere Geschichten auch damit, dass ein Leser vorheriger Werke schon weiß, wie vieles endet. Sie füllt Lücken, mit individuellen menschlichen Tragödien, Einstellungen und Entscheidungen „weil er meinte, dass es sein musste“.

Weißt du, man hat mir erzählt, dass ihr Hexer junge Leute sucht.
Fügen sich einige der Geschichten in größere historische Ereignisse der Hexer-Welt, sind andere losgelöst: In Es bleiben keine Spuren geht es um das klassische ungesehene Monster, das Menschen aus einem Dorf tötet und einem namenlosen Hexer, der schließlich gerufen wird – aber auch andere bemerken kleine Dinge. Mehr zu erzählen würde auch bereits zu viel verraten. Erneut ruft diese Geschichte aber in Erinnerung, dass Hexer zwar kaum beliebt sind und Geralts Abenteuer Legenden – aber die ganz praktische Tätigkeit eines Hexers ist vielleicht eben doch notwendig und nicht der schlechteste Beruf.

Nebenfiguren, Neue Figuren und Monster

Eine weitere Gruppe von Geschichten handelt von Monstern und schon bekannten aber nicht zentralen Figuren. Einige sind schon als Nebenfiguren in Erscheinung getreten oder stehen mit diesen in direkter Verbindung. In Nicht Meinerseits treffen Rittersporn und andere Dichter bei einer Adelshochzeit zusammen. Schnell wird klar, dass etwas magisch-mystisches vor sich geht und längst nicht alle mit den Dingen einverstanden sind. Erinnerungen an ähnliche Situationen in früheren Hexer-Geschichten klingen durchaus an – und ganz konkret wird ein Bogen zu Essi Daven aus Ein kleines Opfer (Das Schwert der Vorsehung) geschlagen. Die Stärke dieser Geschichte liegt in den Emotionen - und in dem teilweise offenen Ende, das mich wie an eine andere Geschichte erinnert.

Deutlich weiter entfernt von konkreten Hexer-Geschichten ist Eine Lektion in Einsamkeit. Hier erfährt eine Zauberinnen-Schülerin durch die Erzählung ihrer Meisterin über den Krieg mit Nilfgard, was jede Zauberin früher oder später lernen muss: eine einzige Lektion, angebunden an die Schlacht von Sodden und innerhalb dieser Sammlung die einzige Geschichte und Idee, die ich nicht direkt mit einer Erzählung Sapkowskis verbinden kann. Das ist nicht negativ gemeint: Die Lektion ist absolut gelungen!

In Das Mädchen, das niemals weinte taucht ein bekannter Name: Toruviel, eine Elbe die Geralt einst gefangen nahm und jetzt nach der Schlacht von Brenna selbst in menschliche Gefangenschaft gerät. Zumindest nimmt sie das an. Denn tatsächlich wird sie eher aufgenommen – und muss sich mit ihren eigenen Taten und Ansichten auseinandersetzen.

Eigentlich ist Rittersporn keine Nebenfigur, jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie die zuvor erwähnten. Er steht im Zentrum von Die Ballade vom Blümchen. Auch diese Geschichte hat wie alle anderen düstere Elemente, ist aber die einzige, die ich in Richtung düsteren Humor einordnen würde. In ihr muss unser liebster Sänger und Herzensbrecher nach seinem Tod erkennen, dass er mit Versprechungen vielleicht ein wenig zu leichtfertig umgegangen ist. Sie fällt auch in den Bereich surreal - den Beginn wollte ich zunächst nicht glauben und hielt es für eine Einbildung des Sängers. Insgesamt eine der eher schwächeren Geschichten - und man muss ertragen, wie hier mit Frauen umgegangen wird, was aber durchaus in die Welt des Hexers passt.

Perspektivwechsel - Am Ende zum Anfang

Auch in vorigen Geschichten kam es zu Anspielungen und Perspektivwechseln. Man kann, nein man sollte hier von Hommagen reden. Einzelne Geschichten nehmen vorherige, kopieren die Situation oder Struktur und fügen dann etwas Eigenes hinzu. Dabei gelingt es allen Autoren, den Anklang an die Vorlagen zu finden. Absolut gelungen!

Eine Geschichte möchte ich noch besonders hervorheben. "Später hieß es, der Mann sei aus dem Norden vom Seilertor her gekommen ..." beginnt sie. Und nanu, kennen wir das nicht? Ja, tun wir! Denn dies ist der Anfang der ersten Geschichte aus Der letzte Wunsch und nicht das einzige wörtliche Zitat. Besonders Lob hier an den Übersetzer, der seine Übersetzung der deutschen Ausgabe exakt wiederholt! (Ja, ich konnte es nicht lassen, nachzusehen).

Diese abschließende Geschichte der Sammlung ist also zugleich eine Rückführung hin zur allerersten Geschichte der Hexer-Bücher und steht daher passend rahmend am Ende. Leicht pathetisch könnte man sagen: Geralts Geschichten sind nun auserzählt und führen dorthin zurück, wo wir ihm das erste Mal begegneten; der Rahmen gleichzeitig den Rahmen des ersten Buches spiegelnd. Aber worum geht es eigentlich in Zähne und Klauen? Um die Strige natürlich, die Geralt hier in die Baronstochter zurückentzauberte – aber aus Sicht der Strige selbst. Und dies ist eine gänzlich andere Perspektive, zumal die Strige auch zuvor unerwähnte Fertigkeiten zeigt.

Insgesamt ist Das Erbe des Weißen Wolfes - Magische Geschichten aus der Welt des Hexers damit eine Anthologie, die verschiedene Stimmungen und Themen von Geralt-Geschichten wieder anklingen lässt und doch etwas eigenes hinzufügt - und das insgesamt gelungen. Hexer-Fans dürfen sich auch ohne Andrzej Sapkowski als Autor auf gute, (nicht-kanonische) Unterhaltung freuen.

Beinhaltete Geschichten

  1. Die Grenze der Wunder (Kres cudów; Piotr Jedlinski)
  2. Blut auf dem Schnee. Die Apokryphe der Koralle (Krew na sniegu. Apokryf Koral; Beatrycze Nowicka)
  3. Ironie des Schicksals (Iornia losu; Sobieslaw Kolanowski)
  4. Zwei Köpfe (Co dwie glowy; Nadia Gasik)
  5. Die Skala der Pflichten (Skala powinnosci, Katarzyna Gielicz)
  6. Nicht meinerseits (Bez wzajemnosci; Barbara Szelag)
  7. Eine Lektion in Einsamkeit (Lekcja samotnosci, Przemyslaw Gul)
  8. Es bleiben keine Spuren (Nie bedzie sladu; Tomasz Zliczewski)
  9. Das Mädchen, das niemals weinte (Dziewczyna, która nigdy nie plakala; Andrzej W. Sawicki)
  10. Die Ballade vom Blümchen (Ballada o Kwiatuszku; Michal Smyk)
  11. Zähne und Klauen (Szpony i kly; Jacek Wróbel)

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Avatar von nico Rezension von: (Grimoires.de)
Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.

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