Zeit des Sturms
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Kurz nach seiner Ankunft im Königreich Kerrack wird Hexer Geralt von Riva verhaftet. Streitigkeiten mit der Obrigkeit sind nichts Neues für ihn, doch in diesem Fall steckt mehr dahinter: Die Zauberin Koralle will ihn zwingen, den Auftrag einiger Zauberer anzunehmen. Und auch der Kronprinz des jungen Königreichs hat seine Pläne. Dumm nur, dass nach der Festnahme die Schwerter des Hexers gestohlen werden.
Das Buch erhält 8 von 10 Punkten.
Zeit des Sturms ist ohne Frage ein Roman um den Hexer Geralt. Er greift auch Fragen auf, die man aus anderen Büchern kannte, steht jedoch für sich allein und ist auch Neulesern zugänglich. Der Roman bietet eine typische Geralt-Geschichte, ist insgesamt aber düsterer und ohne die oft bittersüß-erlösende Moral der Kurzgeschichten.
Zugängliche Neue Alte Geschichte
Die Geralt-Saga im engen Sinne beginnt mit dem ersten Roman (Das Erbe der Elfen). Dies war aber nicht die erste Geschichte um Geralt: Zuvor erschienen die Kurzgeschichtensammlungen Der letzte Wunsch und Das Schwert der Vorsehung. Zeit des Sturms ist weder eine Fortsetzung der Saga noch eine Sammlung von Kurzgeschichten. Es ist ein eigenständiger Roman, der irgendwann zwischen dem Letzten Wunsch und dem Erbe der Elfen spielt. Das bedeutet: Ciri gibt es noch nicht, ein junger Geralt zieht als wandernder "Monsterjäger" durchs Land. Nilfgard, der große Krieg und die politischen Verstrickungen des Hexers liegen in der Zukunft.
Dies ist also eine alte Geschichte, eine Zwischenerzählung. Sie ist weniger episch als die Kern-Saga: Das Problem des Romans betrifft nur Geralt. Er geht seiner Arbeit nach - und muss seine Schwerter zurückbekommen. Gäbe es diese Geschichte nicht, hätte sie niemand vermisst. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Roman schlecht ist: Ist er nicht. Er ist zwar kein neuer Höhepunkt aber definitiv eine Geralt-Geschichte
Geralt-Geschichte ohne Epik und Märchen
Zeit des Sturms hebt sich von den vorangehenden Kurzgeschichten ab. In jenen traten vielfältige Märchenelemente auf; oft war eine einzelne Geschichte eine alternative Interpretation einer bekannten Erzählung, in der Regel düsterer und bittersüß. Das Süße fehlt in diesem Roman; direkte Anspielungen auf Erzählungen gibt es nicht. Das macht sie insgesamt düsterer - auch wenn immer wieder leichter Humor aufglimmt. Arturianische Anspielungen gibt es nur in einer Rahmenhandlung - nicht unbedingt zum Schlechten, denn besonders für Neuleser wären diese verwirrend.
Und Neuleser können hier durchaus einsteigen: Zeit des Sturms kann für sich allein stehen, ist verständlich. Allerdings gehen ihnen zwangsweise viele Nuancen verloren: Geralts mitunter problematische Skrupel, seine Beziehung zu Yennefer, was einen Hexer überhaupt ausmacht, die Beziehung zwischen Menschen und "Ungeheuern" ... Wer diesen Roman liest, ohne Geralt vorher zu kennen, der liest eine andere Geschichte als die angestammten Fans.
Weniger Humor, mehr Action
Eine andere Geschichte liest er auch deshalb, weil der Stil anders ist. Geralts Moral wird in diesem Roman kaum erörtert, sondern mehr hingenommen. Zeit des Sturms hat zudem ein höheres Maß an Action als andere Geralt-Bücher, was neuen Lesern ebenfalls entgegenkommt und (zum Guten oder zum Schlechten) der westlichen Fantasy einen Schritt näher rückt. Zudem gibt es nur wenige Anknüpfungspunkte an den Rest des Hexer-Universums: Geralts bester Kumpel Rittersporn tritt natürlich auf, aber schon Yennefer ist nur ein Name im Hintergrund.
Und apropos Yennefer: Die Liebelei mit einer Zauberin gehört zu einem Geralt-Buch fast zwangsweise dazu. Wie die Auseinandersetzung mit Stadtwachen steht sie in diesem Roman für sich allein, ist abgeschlossen - ein wenig zu abgeschlossen für meinen Geschmack: In all diesen Facetten fügt sich der Roman zwar ohne Probleme zwischen die anderen Hexer-Geschichten, hat aber keine unmittelbaren Verbindungen zu diesen.
Am nächsten kommt den alten Erzählungen noch die Episode mit einer Füchsin, also einem Ungeheuer, mit dem sich Geralt auseinandersetzen muss. Die Flucht auf einem Schiff inmitten des Sumpflands hatte für mich zudem die beste Atmosphäre des gesamten Romans.
Moralische Dilemmata
Dieser Teil greift auch ein weiteres Thema anderer Geralt-Geschichten auf: Hexer sind dazu da, die Menschen zu schützen, vor den Monstern wie Strigen, Vichten, Vampiren und Werwölfen. Allerdings gehört diese Welt schon längst den Menschen. Magie und Technologie haben jene Wesen zurückgedrängt, ihre Lebensart vernichtet. Genannte Füchsin kann zwar beileibe nicht als sonderlich nett bezeichnet werden, aber bis der Mensch sich einmischte, funktionierte alles.
Geralt gerät damit in ein Dilemma zwischen seiner Pflicht, Menschen zu schützen, und ethisch richtigem Handeln. Denn wie so oft tragen die wahren Monster Menschengestalt. Wobei auch das in vielen Fällen zu einfach gedacht ist. Zwar setzt Sapkowski auf bekannte, typische Figuren - aber andererseits verhalten sie sich dann ganz anders, als man erwartet - Gut und Böse sind Dimensionen, die sich nicht auf alles anwenden lassen, am wenigsten auf das, was die Menschen als Monster bezeichnen.
Zauberer und Gen-Experimente
Das trifft auch für Geralts Auftraggeber zu, die Zauberer. Vornehmlich forschen Sie an Magie und Technologie, um das allgemeine Lebensniveau zu verbessern. In Geralts Welt kleiden sie dies in allerlei gelehrt klingende Aussagen und sind geradezu Wissenschaftler. Allerdings erreicht ihre Forschung kaum den gewöhnlichen Menschen und dient am Ende vor allem dem Profit. Und der liegt im Krieg, in der Entwicklung neuer Methoden zum effizienten Töten. Und Geralt? Der soll ein außer Kontrolle geratenes Experiment beseitigen.
Abgesehen von diesem Experiment beschäftigen sich die Zauberer auch nicht mit Magie im klassischen Fantasy-Sinne. Sie suchen nicht in alten Büchern nach mystischen Zaubern. Stattdessen wirken sie viel moderner, sprechen von Genetik und erschaffen halb magisch, halb wissenschaftlich neue Geschöpfe. Das geht nicht wirklich gut. Die Auswirkungen müssen aber natürlich nicht sie ausbaden, sondern die schutzlose Bevölkerung bzw. Geralt. Eine Anspielung auf Rüstungs- und Gen-Industrie? Dazu braucht man die Fantasie nicht allzu sehr bemühen.
Zeit des Sturms ist ein echter Geralt-Roman. Mir gefiel er nicht ganz so gut wie die Kurzgeschichten. Er ist actionlastiger und "westlicher", spielt weniger auf andere Texte an. Das macht ihn zugänglicher für neue Leser. Fans der Reihe bekommen trotzdem einen echten Geralt-Roman.
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Nico hat besonderes Interesse an Fantasy sowie ihrem Bezug zur Realität und anderen Texten (Intertextualität). Nico studierte Literatur in Deutschland und England. Wenn er nicht liest, läuft er oder ist im Tischtennis unterwegs.
Diese Rezension wurde zuletzt geändert am und ursprünglich veröffentlicht am .
Zitat(e) aus dem Buch
- Bei seinen Wanderungen auf der Suche nach Arbeit pflegte Geralt Gebiete zu meiden, in denen es oft zu bewaffneten Zusammenstößen kam, denn in solchen Gegenden war kaum eine Beschäftigung zu finden. Nach einiger Bekanntschaft mit regulären Truppen, Söldnern oder Marodeuren kamen die Bauern zu der Überzeugen, dass der in der Umgebung hausende Werwolf, die Striege, der Troll unter der Brücke oder der Vicht im Grabhügel alles in allem ein kleines Problem war und der Hexer das Geld nicht lohnte.
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